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#9 // Neuland



Eines Tages klingelt das Telefon und der Tod ist dran. Nicht persönlich, aber er lässt schön grüßen. Wir legen auf und ein Schatten wächst. Wir können ihn aus dem Augenwinkel sehen, er reicht hinab bis auf den Boden. Instinktiv wissen wir, dass es noch lange dauern wird, bis wir wieder aus ihm hinaus treten werden. Vielleicht wird er auch größer. Mit Sicherheit verschwinden wir irgendwann darin. Vielleicht müssen wir weinen, vielleicht suchen wir danach.

Der Tod ist ein fieser Typ. Er hält sich an keine unserer Regeln. Wir verbringen so viel Zeit damit, diese Regeln um uns herum aufzustellen, oder wir versuchen, die anderer zu brechen. Wir lieben es dabei zuzusehen, wie wir mit unserem Leben das Leben anderer klein machen. Unser Leben ist immer die Ausnahme in der Regel. Aber keine Regel hält Krebs im Endstadium aus. Oder einen festen Strick, der um einen Stahlträger gebunden ist. Selbst der größte Kleingeist stirbt irgendwann aus. Und er wird dabei allein sein. Das ist die einzige Regel.

Was es alles zu sagen gibt, fällt uns erst auf, wenn keiner mehr zuhört. Die Antworten auf unsere Fragen bleibt uns die Zeit schuldig. Und so viel kann man sich vorwerfen, was man alles nicht getan hat. Was man falsch gesagt hat, als man zu hart war, zu weich, zu wenig da oder zu nah dran. Es dreht sich alles im Kreis, manchmal dreht es sich um einen Fleck auf dem Fliesenboden einer Fabrikhalle, der langsam trocknet. Und der das einzige ist, was uns bleibt von einem, den wir mal gern hatten. Wir sterben, heimlich, in Fabrikhallen und Krankenhäusern, in Schlafzimmern und mitten auf der Straße. Aber was sollen wir anderes tun, als bis dahin ein wenig zu leben. Als das richtige, das später vielleicht einmal falsch sein wird. Wir können es nur versuchen.

Wir hören die Geschichten von denen, die im Schatten leben. Die die Sonne selten trifft im Licht. Manche sagen, das Selbstmord ein Freitod ist. Wieder andere sagen, dass es ein Zeichen von Schwäche ist. Ihr alle da draußen, die ihr denen, die Schwäche zeigen in den Rücken tretet: auch ihr habt einen Schatten. So ein Leben geht schief, es rutscht ab, es kann sich nicht halten. Und drum herum stehen alle und schauen zu. Manche weinen, andere kümmern sich nicht darum. Es ist immer ein Drama, aber es ist so normal, dass es schon neben uns einschlagen muss, damit wir die Detonation begreifen. Es gibt keine Schuldigen, nur Hinterbliebene mit einer Geschichte.

Wenn an einem lang gesuchten Grab kein Name steht, hat das Sterben dann jemals stattgefunden? Kein Blumenstrauß, keine Karte, keine Inschrift und keine Kreide auf dem Boden hat jemals etwas wieder gut gemacht. Es gibt nichts gut zu machen, was war. Höchstens besser zu machen, was sein wird. Wenn wir auf den Friedhof gehen, schweigen wir. Vielleicht weil wir hoffen, dass es uns nicht als nächstes trifft. Nur keine Aufmerksamkeit erregen. Wir sollten viel mehr schweigen.

Der Tod ist eine Grenze, die jene überschreiten, die Weiterleben. Er ist neues Land, auf das wir gehen, das wir zum ersten Mal sehen, das wir verfluchen für seine karge Landschaft. Der Tod ist Neuland, auf dem wir unseren Platz suchen und das wir mit Leben füllen müssen. Was auch sonst. Wie die tausend anderen verdammten Male vorher auch.


.felix wetzel.

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