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#73 // Wem du gehörst, hab ich gefragt



Wenn wir uns bei Insta sehen. Auf echten Bildern mit Filtern. Mit falschen Namen hinter Hashtags, die zeigen, dass du doch gefunden werden willst. Wenn du dann da siehst, wie ich zum Beispiel ein altes Haus in Lissabon sehe, im frontalen Anschnitt, so dass man die graden Linien schön erkennt. Dahinter fliegt vielleicht noch eine Wolke herum, weil sie nicht wusste, wo sie sonst hinsollte. Und wenn du das schön findest, weil der Putz vom Haus bröckelt und deine Seele auch. Und dann siehst du auf dem nächsten Bild von mir mich. Ich habe eine weiße Mütze auf und die Wand ist rot und mein Gesicht sieht aus wie die Mischung aus beidem. So wie dein Pommes Schrankenherz. Wenn du dann denkst, dass ich nett aussehe und dass man mit mir bestimmt gut durch Brüssel bei Regen laufen und abends im Hotel schlafen könnte, von dem aus man kein Wasser sieht. Warum sagst dus nicht? Ist es, weil es deinen wichtigsten Follower verletzen würde? Hörst du dann auf ihn? Oder auf mich, weil ich auf dem einen Bild den Finger auf den Lippen habe? Oder weil du denkst, dass ich dich dann entfolge, wegen zu viel Nähe aus der Ferne? Oder weil es dir nicht reicht, dass ich das einfach nur schön finde und nicht mit dir nach Brüssel fahre, obwohl ich es auch schön fände? Wer sagt dir, dass das nicht geht? Zu wem gehört dein Sehnen?


Wenn du mich morgens triffst auf dem Weg zur Bahn. Du hast es eilig und die Zeit an deinem Handgelenk läuft dir in den Ärmel davon. Ich steh dir rauchend im S-Bahntunnel im Arbeitsweg und finde das nicht schlimm, weil ich quasi auf mein Recht auf Orientierungslosigkeit bestehe. Wir rumpeln uns kurz an und tanzen den Ausweichtanz. Und du fragst dich so richtig heftig, was ich da soll. Was mein Dasein soll und warum ich nicht woanders bin. Aber du fragst mich nicht. Sondern gehst weiter, wünschst mir den Tod durch Sinnlosigkeit und denkst später noch mal darüber nach, was das eigentlich sollte. Wem hast du in diesem Moment gehört? Deiner schlaflosen Nacht? Deinem Albtrauma? Wer hat dich auf mich wütend gemacht? Und wären wir mittwochs zusammen beim Sport, hättest du mich dann gefragt, was ich wollte? Oder hättest du vielleicht sogar plötzlich fünf Minuten Zeit gehabt, weil du nicht mehr auf dein Zeitgefühl gehört und dich über das zufällige Dortsein meines Daseins gefreut hättest? Woher kam dein Hass und wo ging er hin?


Wenn du dich getrennt hast von etwas. Wenn du aus der Wunde noch blutest, aber dir einredest, dass sie bald zu sein wird, weil bisher alle Wunden sich geschlossen haben. Du abends in einem leeren Raum sitzt und zu schweben beginnst, weil nichts mehr dich hält. Wenn deine Luftmatratze quietscht, weil du dich gegen drei Uhr auf die dunkle Seite der Nacht drehst. Und deine Freunde dir schreiben und sagen, dass du es richtig machst und dein Vater anruft und fragt, was du da für einen Scheiß machst. Wenn dein Leben bis eben noch klar war und es jetzt wie der letzte klebrige Schluck Giesela auf dem Clubboden nach einer Erstsemesterparty aussieht. Wem gehörst du, wenn der Morgen noch so weit weg scheint, dass es einfacher wäre, ins Dunkle zurückzugehen. Gehörst du schon der Zukunft oder noch dem Abschied? Auf wen hast du gehört im Moment der Entscheidung? Auf den Flügelschlag des brennenden Falters in deinem Bauch oder auf die getrockneten Tränen im Gesicht des anderen? Woher weißt du, dass du das richtige für dich tust, und nicht einfach nur das falsche für den anderen? Und für wen machst du das hier überhaupt? Woher kommt die Zuversicht in dir, dass es besser werden kann? Gehört dir noch dein eigenes Blut?


Wenn du nachts in den Spiegel schaust oder Sonntag nachmittags, je nachdem, wie hoch du fliegst. Dieser Spiegel vibriert vom Bass und die Tags sind so dicht auf die Klotür geschrieben, dass du keins mehr lesen kannst. Und sagen wir, du siehst dich da stehen in deinem schwarzen Top mit den weiten Nähten, dem fein gestochenen Tattoo am Schlüsselbein, der schmalen goldenen Kette über dem Knochen, mit einer Flasche Bier in der Hand, in der Wasser ist. Weil draußen einer wartet, der von dir erwartet, dass du das austrinkst, damit er nicht länger auf dich warten muss. Und wenn du dir dann was ziehst, das dich wach macht. Schwachstark. Obwohl du davon träumst, dich einfach neben wen zu legen unter einem offenen Fenster, durch das die Sonne ihren hellen Schatten wirft. Und den ganzen Mist einfach gemeinsam auszuschlafen. Wenn du dich anschaust, und denkst, dass es nicht genug ist, was du siehst. Oder zu viel. Dass du dir da was ranhängst, dort was rauftust. Da was weg haben willst von dir. Wem gehörst du dann? Dem der dich anschaut und denkt, dass du nicht genug bist? Bist das du, der sich von dir wegdreht? Wem glaubst du, dass es nicht reicht? Und warum hörst du nicht auf den einen, der dir schwört, dass er bleibt, egal was ist? Wem willst du heute Nacht gehören und wem ab morgen früh?


Wenn du in meinem Arm liegst und ich dich frage, ob du bleiben willst. Ob wir den Wahnsinn zusammen durchstehen wollen. Wenn ich dann sage, was ich bieten kann. Und was nicht. Wenn ich den nächsten Track aussuche hinter deinem Rücken mit der einen Hand, während ich mit der anderen deinen Kopf vom Wegrollen abhalte. Wenn ich dir ins Ohr flüstere, dass ich anders bin und du es mir glauben musst, auch wenn du nur an das eine denkst, das ich nicht bin. Wenn ich dich nicht ausziehen will, obwohl das der logische nächste Schritt wäre, weil ich dir sage, dass das, wonach ich suche, nicht unter Polyester zu finden ist. Wenn du dann überlegst, ob du ehrlich sein kannst. Ob du von deinem Zweifel erzählen und die Playlist übernehmen kannst. Wenn eigentlich alles in dir danach schreit, das Risiko einzugehen und aufzumachen. Wenn du dann aber zu deiner Minibar gehst und deine Hoffnung mit einem viel zu warmen Gin runterspülst, ohne mir zuzuprosten. Wenn du mich nach Hause schickst, obwohl du mich am liebsten überall reinlassen würdest. Auf wen hörst du dann? Und warum nicht auf dein Herz? Hast du mir nicht zugehört?


Wem gehörst du? Dem Flächenbrand in deiner Brust? Oder deiner Aufgabe zwischen 9 und 19? Gehörst du diesen Worten hier, oder hörst du lieber auf jemanden, dem du vertraust, weil er schon mal recht gehabt hat? Gehörst du der Wut auf die anderen, oder dem Hass auf dich selbst? Von wem sind die Stimmen in deinem Kopf und wie klingt eigentlich deine eigene in den Ohren der anderen? Wen hast du schon ins Unglück gestürzt und wer hat das Ende wegen dir überlebt? Ist der Gedanke da gerade von dir oder von mir und macht das überhaupt einen Unterschied?


Ich wünschte du würdest auf mich hören. Dann würde ich dich freilassen und hoffen, dass du nicht zu mir zurückkommst. Nicht bevor du dir gehörst.


.felix wetzel.

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