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#72 // Kein Himmel ohne dich


Eines Tages bist du einfach aufgegangen. Am Abendhimmel über meinem Horizont standest du im Zenit meiner Abendbrotzeit. Irgendwann kurz nach Neun in einem warmen Juli, der nie so richtig dunkel wurde. Du warst nicht mehr als ein kleiner Punkt, der so aussah, als könnte er heller werden, als die anderen. Aber bei so Funkellichtern weiß man ja nie so richtig, ob man vielleicht nur falsch guckt. Ich hab dich aus Versehen gesehen, als ich gerade meine Zigarette in trockene Blumenerde ausgedrückt und am Himmel nach Halt gesucht habe. In deinem Licht war mehr Blau, als im gesamten schimmernden Samt über der Stadt. Und während mein Planet im Schatten versank, nahm deiner langsam Fahrt auf.

Ich hab dich erst nicht ernst genommen. Wie man das halt so tut, mit Lichtern die so tun, als könnten sie was. Von denen man aber nicht weiß, ob sie überhaupt noch da sind. Wir haben uns gesehen, von weit weg. Wie man durch Teleskope eben schaut. Man zoomt so nah ran in den anderen, bis man unter die Oberfläche sehen kann, die Einschlagskrater. Am Kometenschweif erkennt man, von wo die Sonne kommt. Und wo der Schatten ist. Ich hab dann oft abends auf meinem Balkon gesessen, den Finger in deine Richtung gehalten, ein Auge zugekniffen. Und mir gewünscht, dass du näher kommst. Und du kamst auch näher. Jeden Tag ein winziges Stück. In den Nachrichten berichteten sie da schon über dich und fragten sich, ob du kollidieren würdest. Sie hatten Angst vor dir, vom ersten Moment an. So wie Leute Angst haben, die das Ende nicht von Anfang an mitgedacht haben. Ich hatte keine Angst.


Du hast dann Nachrichten zu mir geschickt. Das All war voll von deiner schwerelosen Leichtigkeit. Deine Worte waren Gravitation, der meine dunkle Materie nicht entkommen konnte. Die sie zum Glühen brachte. Kein Zurück. Hast dich vorgestellt, damit ich mir dich vorstellen konnte. Hast mit kalten Sternschnuppen auf meine Krater geworfen und Asteroiden nach mir benannt. Ich habe dir geantwortet, habe dich nächtelang durch ein Fernglas angeschaut und mich gefragt, ob du Leben bringst oder das Ende oder beides. In den Nachrichten haben sie mit Linien deinen Weg durchs All vorgezeichnet. Heute an mir vorbei, morgen mitten rein, je nachdem, wer gerechnet hat. Eine große Zeitung schrieb dir sogar einen Brief, in dem sie dich baten, umzukehren. Unterschrieben war der von den großen Gesichtern unserer Zeit. Die großen Gesichter wollen selten etwas ändern. Aber hinter all dem Lärm um dich, blieb in der stillen Nacht das dumpfe Rauschen deiner schnurgeraden Bewegung. Ein großer Stein, den nichts aufhalten konnte. Und ich, ich lag im Bett mit offenem Fenster, damit ich dich hören konnte.


Die Tage vergingen und du wurdest größer. Deine Ränder liefen über meine. Wenn ich zum Horizont blickte, wusste ich nicht mehr, wo du anfängst und ich aufhöre. Immer warst du an der gleichen Stelle am Himmel zu sehen. Ich liebte diese Sicherheit, nach oben zu schauen und immer das zu finden, das ich suchte. Irgendwo zwischen Nord Nordost war dein Platz über mir. Ein Fixpunkt in einer Welt, die begonnen hatte, sich in sich um sich selbst zu drehen. Die aus ihrer Bahn geriet und in unbekanntes Land trudelte. Ein paar Wochen später schon warst du dann vom Mond nicht mehr zu unterscheiden. Du bist halt nur nie untergegangen. Deine Gezeiten hielten meine Welt in Atem an. Das Meer stieg über die Küsten aufs Land, die Vögel fanden den Süden nicht mehr. Ich begann zum ersten Mal darüber nachzudenken, wie dein Einschlag wohl sein würde. Aber nicht wegen der Schmerzen. Denn Veränderung brennt immer, erst recht wenn sie vom Himmel fällt.


Irgendwann warst du so groß, dass es keinen Himmel mehr ohne dich gab. Am Tag warst du eine verschwommene Vorahnung ohne Gewalt, die den Horizont winzig erscheinen ließ. In der Nacht warst du eine blendende Vorstellung vom Untergang. Und du warst so wunderschön. In deinem Licht fiel die Dunkelheit wie ein dünnes Laken über den Abendhauch. Die Schatten hast du von der Schwerkraft befreit. Im hellen Dunkel der Nächte hab ich mich selbst in einem anderen Licht gesehen. In deinem Licht. Und dieses Licht machte weiche Kanten und es ließ meine dunklen Stellen selbst wie Licht aussehen. Je näher du kamst, desto lauter wurde diese Stille. Niemand konnte mehr so leben, wie vor deiner Ankunft. Auch wenn es die meisten wollten. Ich wollte nicht mehr ohne dich leben. Meine Welt ging mit einem weichen Finger auf den Lippen langsam ins Nichts.

Und dann kam der letzte Tag. Ich wachte morgens auf und ich konnte dich spüren. Dein Licht tropfte in dicken Schlieren von meiner Zimmerdecke. Die Magnetfelder unserer Welten zogen sich aus. Du hast mir als erstes meine Atmosphäre genommen. Ein glitzernder Nebel aus Leben verschwand flirrend nach oben in die Dunkelheit. Ich bin dann atemlos vor die Tür und musste dich nicht suchen. Meine Schritte waren leicht, weil du von oben an mir gezogen hast. Ich hab die Augen zugemacht und dich direkt angeschaut. Dann hast du mich berührt. Zum ersten Mal. Dein Gestein fiel auf meins, wir wurden flüssig und liefen aus in die Ewigkeit. Ich hab dir zugeschaut, wie du endgültig in mich gekommen bist. Während die Welt um mich herum aufhörte zu sein, saß ich auf meinem Balkon, hörte Youth Lagoon, Kirsten Dunst schrieb ein Gedicht und Lars von Trier drehte mir eine Zigarette. Ich hab noch ein letztes Mal deine Krater gezählt, die über den Himmel gingen und die in mich fielen. Und ich hab das Stechen in der Lunge genossen. Ein Lebenszeichen im Augenblick des Vergehens. Dann bin ich untergegangen.


Der Abspann lief an. Ich hab dich angeschaut im Halblicht von vorn, wie dein schöner Kopf still an mich gelehnt lag. Hab gehört, wie dein ruhiges Atmen der Luft die Schwere nahm. Niemand im Kino stand auf. Alle blieben auf ihren Gedanken sitzen. Ich war müde vom Kampf mit der Schwere aber froh, es überstanden zu haben. Du hattest schon früh aufgegeben und den halben Film verschlafen. Trotzdem hatte ich keine Sekunde das Gefühl, allein zu sein. Wie du da so lagst, noch warm vom Untergang, da hab ich gewusst, dass wir gerade füreinander gestorben waren. Liebestod. Ich hab dann deine Stirn geküsst, weil es sonst nichts zu tun gab. Und dir still dafür gedankt, dass du einfach bei mir sein wolltest. Du bist davon aufgewacht, hast meine Hand genommen und gefragt, ob du lang geschlafen hast. Ich hab den Kopf geschüttelt und etwas Asche fiel mir aus den Haaren. Du hast gelächelt und dann haben wir uns zusammen in den Staub gelegt.


.felix wetzel.

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