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#67 // Sartre war ein lausiger Trinker



Ich wache auf. Mein rechtes Lid klebt am Auge fest. Tränen laufen über meine Wange. Ich muss an lauwarmen Kaffee denken, der auf Jeans tropft. Keine Ahnung, wo ich bin. Der Raum ist abgedunkelt. Zwischen den Vorhängen ein Finger breit Licht. Mehr nicht. Das Laken unter mir ist nass. Mein Schädel brummt, vielleicht ist es auch ein Kühlschrank. Nein, ist es nicht. Vor mir an der Wand hängt ein großer Fernseher. Auf dem Tisch darunter steht eine Flasche. Könnte Gin sein, oder eine sehr hässliche Vase, denk ich. Es ist bestimmt Gin, mein Schweiß schmeckt vermutlich danach. Ein Laken klebt auf mir, ich glaube ich hab nichts darunter. Das Bett, in dem ich liege, ist riesig. Vielleicht kommt es mir aber auch nur so vor, weil ich allein darin liege. Alles ist ganz aufgewühlt. Ich auch, das verschwitzte Laken saugt mich auf, bevor ich in die Breite laufen kann. Langsam kommt die Erinnerung wieder. Leipzig. Der Geburtstag. Scheinbar bin ich nicht dort, wo ich sein sollte. Ob die anderen das wissen, denke ich. Aber dann ist es mir so egal, dass ich kurz davor erschrecke. Aber auch das stimmt nicht. Ich verwechsele nur Brechreiz mit einem echten Gefühl. Draußen auf dem Flur läuft jemand mit einem Rollkoffer an meiner Tür vorbei. Plastikrollen auf Kunstfaserteppich. Mir wird wieder schlecht. Alle haben ein Ziel, denk ich. Nur ich, ich hab noch einen Schluck Gin und keine Ahnung, wo meine Shorts sind.


Ich stehe auf und ziehe die Vorhänge zur Seite. Für einen kurzen Moment ist alles grell hell. Dann erscheint langsam der Augustus Platz vor mir. Ich bin recht hoch. Eine Straßenbahn steht an der Haltestelle, aus den Fenstern gucken Leute mit winzigen Augen, die nicht wissen, was sie sonst tun sollten, außer gerade dort zu sitzen. Sie wissen nicht, dass ich sie sehe. Deshalb sind sie ganz sie selbst. Sinnlos, sie könnten auch jemand ganz anderes sein. Auf dem Dach der Tram drehen sich die Aggregate der Klima. Ich sehe meine Shorts hinter der Gardine. Gut, denke ich, die hätten ja auch weg sein können. Ich ziehe mir ein kleines bißchen Würde bis kurz unter die Hüftknochen. Dann setze ich mich aufs Bett und schaue aus dem Fenster zum Uniriesen. Ich versuche über etwas nachzudenken, das Sinn macht. Es dauert eine Weile bis ich merke, dass ich nichts dabei fühle. Mir wird wieder schlecht, es ist wie eine Welle, die mich flutet und keine Zuversicht zurücklässt. Ich stehe auf, gehe dahin, wo ich denke, dass dort die Toilette sein müsste. Aber es ist nur der begehbare Kleiderschrank. Licht geht an hinter den Holzleisten. Krasses Hotel, denke ich. Und kotze in den leeren Raum. Das indirekte Licht wirft bestimmt tolle Schatten auf meinem Gesicht. Ich muss dabei an meine Mutter denken. Was die wohl denken würde, würde sie mich so sehen. Mir fällt nichts dazu ein, nur ihr Gesicht. Irgendwas zwischen Vorwurf und Mitleid. Fiese Kombination. Als ich in der Mitte leer bin, mache ich die Tür wieder zu. Die Dusche steht mitten im Raum, nur eine Glasscheibe trennt sie vom Bett und dem Rest des Zimmers. Der Duschkopf ist größer als mein Hintern, denke ich. Ich frage mich, was das Doppelzimmer hier wohl kostet. Ziehe meine Shorts wieder aus. Und drehe das Wasser auf.


Das Wasser läuft an mir runter, weil es muss. Und während ich versuche, den Shampoospender, oder was auch immer für eine Marmelade da drin ist, nicht kaputt zu machen, erinnere ich mich wieder, warum ich hier bin. Irgendwann heute Morgen, als es schon hell war, bin ich aus dem Club raus auf die Karli. Ich hab es nicht mehr ausgehalten, diese sinnlosen Gespräche, keine Luft unter der tiefen Kellerdecke mehr, kein einziges Wort überlebte den nächsten Shot. Noch eine hohle Phrase mehr und ich hätte den ganzen Laden mit Wodka übergossen und angezündet. Alle hätten dazu getanzt, jede Wette. Die schlechte Musik, diese Hüllen von Liedern, die mir mal etwas bedeutet haben, ich hab sie alle leer gesaugt. Die Gesichter meiner Freunde, um Zentimeter zur Seite und nach innen verschoben. Die Diskussion darüber, wo man denn noch hingehen sollte. Es ist nie genug. Deshalb musste ich weg, weil nirgendwo noch etwas war, wir hatten alles verbraucht. Auch die Hoffnung auf ein würdevolles Erwachen am nächsten Tag. Ich weiß noch, wie ich die Treppen hoch bin und wie das Eingangsschild rot geleuchtet hat und wie mir schlecht geworden ist, von so viel Gewolltheit. Und von so viel Gieselas. Die Temperatur des Duschwassers schwankt. Ich hoffe, dass das Hotel vielleicht doch nicht so viel die Nacht kostet.


Als ich ein paar Minuten später im Fahrstuhl stehe, sehe ich, dass ich im sechsten Stock bin. Oberstes Stockwerk. Der Zimmerpreis steigt wieder. Ich hab nichts dabei, keine Tasche, keine frischen Socken. Ich stehe da nur und versuche, nicht vor Sinnlosigkeit auseinanderzufallen. Die Kabine hält in der Vier, eine Frau um die 60 steigt ein, mit Rollkoffer. Sie will höflich grüßen, sieht mich, verstummt und schaut zu Boden. Ich schwanke zwischen stillem Verständnis und einer kräftigen Flatulenz, um ihr Vorurteil gegen Typen wie mich in Beton zu gießen. Nichts von beidem klappt, ich muss laut niesen von ihrem grässlichen Pre-Friedhofsparfüm und dann sind wir auch schon in der Lobby. Marmor, zwei sinnlose Kamine, uterusförmige Sessel und ein Wasserfall geben an. Ich mache meinen Frieden mit dem Zimmerpreis und gehe zum Counter. Ob ich eine gute Nacht hatte, fragt der Portier. Wieder diese Welle in mir, weil ich merke, dass er die Frage nicht ernst meint. Es interessiert ihn einen Scheiß, ob mein Laken nass war, warum es nass war. Er muss das Ding sicherlich nicht mit der Hand waschen, wobei das fair wäre. Dann würde er auch seine Fragen ernst meinen. Ich bedanke mich und sage leise, dass ich in den Kleiderschrank gebrochen habe, während der Portier den Kopf in eine Mappe steckt. Das freut mich, murmelt er aus dem Papier heraus. Und ich sehe auf meiner Rechnung die Check-in-Zeit: 4:29 Uhr. Und einen Vermerk: Sofortige Zahlung veranlasst. Der Nachtdienst muss sich wohl erschrocken haben, oder geekelt, oder beides. Als ich draußen auf die Straße gehe, sehe ich die Kirche, die sie in das Unigebäude reinoperiert haben. Die Stasi hat das Original damals gesprengt, glaube ich. Wenn sie gesehen hätten, was für einen Mist die da Jahre später neu bauen, hätten sie das alte Ding stehen lassen. Und als ich dann merke, dass ich keine Idee habe, wie man es hätte besser machen können, schnippe ich meine Zigarette in den leeren Raum, der mal mein Herz war. Mir fehlt nichts, denke ich. Außer meiner Ginflasche. Die steht noch oben. Vielleicht nimmt das Zimmermädchen sie als Vase für ihre Neurose.


In Leipzig haben sie sich wirklich Mühe gegeben mit der Stadt. Alles ist hübsch gemacht, jede kaugummifreie Gehwegplatte könnte der Stoff sein, aus dem meine Träume von einer Zukunft hier sind. Am Rathaus hängen Blumenkästen, das Wasser vom Springbrunnen kann man bestimmt zum Teekochen verwenden. Die Menschen haben Geld in den Taschen und kaufen Dinge aus eng anliegenden Kunststoffen. Sie kommen von weiter her, sprechen Dialekte aus dem Umland, sie färben sich die Haare in mehreren Farben, parken im Hauptbahnhof und nehmen weiße Sneaker mit zurück auf den Dorfplatz und ins Einfamilienhaus. Ich muss an mein Philosophiestudium hier denken, wie ich damals neu war in der Stadt, da war die Stadt noch nicht ganz so neu. Wie ich durch die Indie Clubs gezogen bin und den schönen Mädchen beim Tanzen zugeschaut habe. Wie ich hundert Leute kannte und niemals allein war, außer abends in meinem WG Zimmer, vor dem die Nachtigall gesungen hat. Wie wir zum See gefahren sind im Sommer und in den Kneipen versackt sind im Winter. Und wie ich dieses Buch von Jean Paul Sartre gelesen habe, der Ekel, und in der Hosentasche herum getragen habe. Damals kannte ich den Ekel nicht. Der dem Sein seine Schönheit nimmt und nach einem Sinn verlangt. Ich konnte ihn mir nur vorstellen. Weil das Leben so schön war, so frisch und unbenutzt. Jetzt, wo der Ekel selbst auf mir liegt und die Poren verstopft, verstehe ich den Jean Paul.


Das Ekel läuft durch die Stadt und empfindet nichts, außer einem leicht stechenden Kopfschmerz an den Schläfen. Ich muss an das Zimmermädchen denken, das den Kleiderschrank saugen muss. Aber sie ist mir egal. Ich bin mir egal. Mein Telefon ist mir egal, mit all den ungelesenen Nachrichten. Ich denke an einen Kaffee mit viel Zucker und an den Gin von gestern und der Rausch, er gibt mir nichts zurück. Vielleicht sollte ich Chemie nehmen, denke ich. Bis mir der Ekel sagt, dass auch hinter diesem Vorhang nur bunte Kulissen gelagert werden. Ein Auto hupt mich an, weil ich ohne zu gucken auf die Straße gelaufen bin. Er hat Recht. Ich zeige ihm trotzdem den einzigen meiner Finger, der gerade ist. Hätte er mich umgefahren, ich hätte im Krankenhaus alles auf Sartre geschoben. Die Existenz geht der Notaufnahme voraus.


Als ich meinen Kaffee am Bahnhof mit Kleingeld bezahlen will, finde ich einen Zettel in meinem Münzfach. Blauer Stift, leicht krakelige Schrift. Während die Dame am Kaffeeschalter nach Wechselgeld taucht, lese ich. „Frag nicht, wie ich das Ding hier rein bekommen habe. Aber wenn du mal fertig sein solltest mit dieser Selbstzerstörungsnummer, ruf mich unbedingt als erstes an.“ Dann eine Nummer. Kein Name. Die Dame fuchtelt mit dem Wechselgeld. Der Glatzkopf hinter mir mit dem Tribaltattoo auf dem Oberarm rempelt mich an. Ich möchte ihn zur Umerziehung zu meinem alten Lateinlehrer schicken. Herr Gelrich kannte keinen Ekel, nur den Ablativ und Respekt. Ich nehme das Geld, meinen Kaffee und setze mich auf eine der großen Steintreppen im Bahnhof. Noch 24 Minuten bis mein Zug fährt. Selbstzerstörungsnummer. Mein Leben als Masche. Mein Gefühl als Phase. Ich nehme mein Telefon aus der Tasche und tippe die Nummer in die Zeile. Dann schreibe ich: „Und wenn du mal wieder einen guten Bumms brauchst, kann ich dir die Nummer von meinem Bruder geben. Sein Name ist Sieghart Kannlang.“ Schreibe ich. Aber schicke ich nicht ab. Ich trinke einen Schluck von meinem Kaffee und tausche die Nummer von wem auch immer aus gegen die Nummer von Karl. Ich schicke die Nachricht ab und muss lachen. Richtig lachen. Ein bißchen erschrecke ich mich vor mir selbst. Aber das ist okay. Auch Sartre musste ja mal lachen, vermutlich, und ist ja irgendwann trotzdem gestorben. Vielleicht ja sogar in einem Hotel. Ich stelle mir vor, wie Bukowski Sartre in der Hotelbar unter den Tisch trinkt, bis der Sinatra singt. Ich glaube Sartre war ein lausiger Trinker.


Als ich google, wie Sartre gestorben ist, lese ich nur, dass 50.000 Menschen seinem Sarg gefolgt sind. Ich frage mich, ob das Zimmermädchen meinem Sarg folgen würde, wenn ich ein modernes Buch über den Ekel schreiben würde, den ich empfinde, wenn ich in den Schrank breche. Das witzige ist, dass ich mich danach leer fühle, während im Schrank ja netto mehr drin ist. Alles im Gleichgewicht und so. Dann sagt mir eine Push, dass mein Zug gleich fährt. Ich stehe auf, sehe dass Karl geantwortet hat. Er hat einen lachenden Kackehaufen geschickt. Die Essenz eines Lebens im Heute. Ob Sartre auch mal wo rein gekotzt hat, wo er nicht hätte sollen, frage ich mich. Vielleicht in Simones Schmuckkästchen. Weil das stelle ich mir wirklich eklig vor. Langsam laufe ich zu meinem Gleis nach Berlin, die Welle im Inneren bricht. Niemand folgt mir. Und ich werfe ein brennendes Streichholz in die Leere hinter mir.


.felix. wetzel.

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