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#65 // Königin



Die Bar liegt in der Häuserschlucht wie Treibgut. Angeschwemmt von einer Flut, die nur noch in der Erinnerung den Strand bewegt. Der warme Sommerabend vermischt sich mit dem Geruch einer vierspurigen Straße. Irgendwas mit Benzin verdunstet im Rinnstein und zieht Schlieren in der Zeit. Ich bleibe vor der offenen Tür stehen und lausche. Gitarrenmusik zieht in Schwaden nach draußen. Der rote Vorhang ist zur Seite geschoben, so dass ich durch einen großen Spalt nach drinnen schauen kann. Auf dem Tresen brennen ein paar Kerzen, der Barkeeper dreht sich eine Zigarette. Die Fenster reflektieren das Tageslicht nicht mehr richtig. Ich bin der erste Gast und ich bin eine halbe Stunde zu früh dran.

Jonah, der Besitzer der Bar, ist kein Mann irgendwelcher Worte. Er nickt mir zu, zapft ein Pils und kassiert. Dann raucht er seine Zigarette weiter und will nichts wissen. Alle Plätze sind frei und alle riechen sie nach dem letzten Bier. Die Bar ist eigentlich bekannt für ihre Whiskeysorten. Jonah ist ein Schotte. Das muss wohl so. Das Holz der Tische hat sich mit schweren Nächten vollgesogen. Ich gehe nach hinten, frische Zigaretten ziehen. Die werde ich brauchen. Es macht Sinn, dass rauchen in brauchen steckt. Und dann setze ich mich draußen auf eine der leeren Holzbänke. Der Tisch wackelt an einer Ecke. Die Sonne geht gerade hinter der Stadt unter. Wenn ich meine Hand dicht über die Straße halte, fühle ich den Beton schwitzen. Die Luft draußen ist wärmer als die Luft, die aus meinem Mund kommt. Noch eine viertel Stunde.


Ich habe schon den ganzen Tag überlegt, was ich sagen will. Und wie ein Schachspieler hab ich meine Worte auf dem Feld immer wieder in ihre Positionen geschoben. Wie ein Schachspieler habe ich versucht, mehrere Züge vorauszudenken. Hab was geopfert, stelle eine Falle, plane den Untergang. Ich verliere jedes Mal, egal wie ich es anstelle. Im Prinzip habe ich nur einen Satz zu sagen. Der ist nicht lang, ich habe ihn auch schon ein paar Mal ausgesprochen. Man sagt ja, dass Angst nur die mangelnde Vorstellung von sich selbst in einer neuen Situation ist. Also habe ich den Satz laut vor mich hin gesagt, um eine Vorstellung davon zu bekommen. Es ging ganz gut. Das Problem mit dem Satz ist, dass ich ihn sagen muss. Und dass ihn jemand anderes hören muss. Sie. Schwierig. Erstens bestehen Gespräche selten aus nur einem Satz. Man muss etwas davor und etwas danach sagen, damit alles seine Ordnung hat. Und zweitens, kann man auf den Satz antworten. Auf dem grünen Mittelstreifen der großen Straße bellt ein Köter seinen eigenen Haufen an oder vielleicht sitzt da auch ein brauner Frosch im Gras. Ich schaue auf mein Telefon und finde nichts. Sie müsste bald kommen.


Eine tätowierte Frau und ein tätowierterer Mann setzen sich schräg gegenüber unter die Markise. Jonah reicht den beiden volle Biergläser durch einen Fensterspalt nach draußen. Ihr Köter legt sich unter den Tisch und riecht friedlich vor sich hin. Die beiden sagen nichts, sie schauen. Auf die Straße. Auf den Köter. In ihre Gläser, die sich schnell leeren. Sie werden gleich alles hören, denke ich und schaue auf die Uhr. Sie kommt zu spät. Aber das ist okay. Ich habe auch überlegt, ob ich zu spät kommen soll. Aber irgendwie ist das nicht meine Rolle. Ich musse hier sitzen und warten. Ich habe meinen Satz. Und sie hat alles Recht der Welt, sich den richtigen Moment dafür auszusuchen. Der Köter bellt müde einen Jogger an, dem sein eigener Schweiß davon läuft. Ich zünde mir eine Zigarette an, die erste aus der frischen Schachtel. Manchmal vergesse ich Dinge, die offenbar zu mir gehören. Wie rauchen, die Wahrheit sagen oder abends spät ins Bett gehen. Und jedes Mal, wenn sie mir wieder einfallen, fühlt sich das wie ein Gewinn an einem Raststättenspielautomat an. Ich frage mich, ob es wohl eine Grassorte gibt, die Jackpot heißt. Vor fünf Minuten hätte sie kommen sollen.

Die Straßenlaternen beginnen zu flackern. Auch wenn das albern ist, aber ich finde immer, dass das ein toller Moment ist. Wenn es dunkel wird und die Fackeln am Straßenrand zu brennen beginnen, dann ist ein Licht plötzlich wieder etwas wert. Tagsüber ist alles leicht. Das Licht macht es einem leicht, irgendwas zu finden, in all dem Chaos. Aber sich im Dunkeln eine Flamme zu schießen, das ist die große Kunst. Meine Zigarette knistert, als hätte sie etwas zu verbergen. Dieses Brennen in der Lunge, das löscht was. Ich habe heute auch schon oft überlegt, ob ich nicht mehr zu sagen habe, haben sollte. Vielleicht etwas anderes, zusätzlich, als Zusatz zum Satz. Aber da war nichts. Und ich fühle mich schlecht deshalb, aber nicht wegen mir, sondern weil sie extra dafür herkommt. Ich habe alle Worte aufgebraucht. Nur dieser eine Satz ist noch übrig. Und sie kommt dafür extra her. Nur um dann wieder gehen zu müssen. Jemand tippt mir von hinten auf die Schulter. Da ist sie. Ich drehe mich um. Nein, hier ist besetzt. Ja, noch eine Weile. Mein Herz springt so hoch, wie es muss. Meine Lunge brennt am linken Flügel. Durch das Fenster der Bar fällt etwas Licht auf die Straße. Vermutlich lässt sie mich sitzen. Vermutlich besser so.


Ich gehe nach drinnen und bestelle zwei Bier. In der Zwischenzeit sind mehr Gäste gekommen. Hier drinnen muss ich immer an die Bukowskibücher denken, die ich mal gelesen habe. Überall Barflys. Am Tresen sitzen jeden Abend die selben Leute. Jeder immer auf seinem Platz. Es ist ihr Leben, das da durch die Schankanlage läuft. Das ist ihre Zeit. Sie sitzen da, bis die Bude morgens mit Schnaps vollgelaufen ist und wegen Sauerstoffmangel schließen muss. Und ich sitze fast jeden Tag hier und beobachte sie. Für einen Augenblick vergesse ich, warum ich hier bin. Ich höre sie reden und lachen über einen Typen, der wohl gestern hier gewesen ist und nicht so viel vertragen hat. Ich gehe zurück nach draußen und verscheuche ein junges Paar, das sich trotz rauchender Kippe im Ascher und Schachtel auf meinen Platz gesetzt hat. Ihr Typ muss sich kurz aufspielen um ihr zu zeigen, dass er es drauf hat. Sie lächelt still und schaut mich an. Ist okay, denke ich. Irgendwann sitzt auch du hier und wartest auf sie. Mit deinem Satz.


Sie ist jetzt eine halbe Stunde zu spät. Keine Nachricht. Kein Anruf. Es ist dunkel geworden, die Bar ist voll und laut. Der Abend hat schon ein paar Umdrehungen. Nur der Köter liegt noch friedlich unter dem Tisch. Die anderen Gäste haben ihre Füße um ihn herum angeordnet. Die zwei Köterbesitzer haben immer noch kein Wort gesagt. Sie sehen zufrieden aus. Ich habe mich extra so gesetzt, dass ich sie kommen sehen kann, wenn sie kommt. Die Straße ist lang und schnurgerade, keine Chance auszuweichen. In Gedanken pfeife ich das Lied vom kleinen Tod. Seltsam, wenn man denkt, dass man tot ist und dann plötzlich merkt, wie da drin noch was zuckt und auf sich aufmerksam macht. Ich sage noch einmal meinen Satz vor mich hin und stelle mir vor, wie sie weint. Und es bricht mir ein Stück vom Herz ab. Denn eigentlich wollte ich den Satz gar nicht sagen. Aber ich muss. Für sie. Unter meinem Shirt juckt mein Superheldenanzug. Der Köter steht auf und streckt sich. Dann trappelt er ein paar Schritte weg, die stillen Tätowierten schauen ihm nach. Er blickt sich kurz um, hebt ein Bein, pinkelt an eine Wand und trappelt weiter. Die beiden rühren sich nicht, aber schauen. Sie lassen ihn gehen, weil er gehen muss. Köter wissen, wann es Zeit ist.


Wieder tippt es auf meine Schulter. Wieder drehe ich mich um. Als ich sagen will, dass hier kein Platz ist, schaue ich nach oben in ihr Gesicht. Sie ist von hinten gekommen. Sie lächelt mich an. Hallo, schön dich zu sehen. Sie setzte sich mir gegenüber. Ist das Bier für mich? Ja. Cheers. Wir stoßen an und etwas Schaum bleibt über ihrer Lippe hängen. Ich weiß, was du mir sagen willst, sagt sie. Es ist okay. Sie lächelt. So schön, dass der Köter ein paar hundert Meter weiter sich umdreht und den Schwanz einzieht. Ich hol uns zwei Schnaps, okay? Schach. Sie riecht frisch geduscht, steht auf und verschwindet in der Bar.

Der Köter kommt zurück und setzt sich neben die Tür. Seine Zunge hängt raus. Sie ist so rosa, dass ich mich für einen Moment frage, ob die wohl angemalt ist. Dann kommt sie wieder, in der Hand zwei doppelte. Sie federt, fliegt fast. Ein paar Tropfen stürzen sich über den Glasrand an ihrem schwarzen Kleid zu Tode. Das Kleid kenne ich noch nicht. Es ist schlicht, eng geschnitten, hat etwas Spitze an den Schultern, sodass man das tiefe Weiß sehen kann. Der Ausschnitt ist so weit, sieht wie ein Horizont aus. Dazu schwarze Turnschuhe. Sie könnte überallhin gehen. Vor, zur Seite, zurück. Aber da will sie nicht hin. Sie bleibt kurz stehen und krault dem Köter den Kopf. Mit geschlossenen Augen sitzt der da und liebt es. Sie lächelt ihn an und ihr schwarzes Kleid schluckt das letzte Licht. Ich bekomme keine Luft mehr in mein System. Ich fühle mich matt. Sie setzt sich und sieht aus wie eine Sommernacht. Ich sage meinen Satz. Die Königin nickt verständnisvoll. Ihr Kleid fällt die Straße hinunter Richtung Alexanderplatz.


.felix wetzel.

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