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#60 // Ich will mich ja nicht einmischen



Wenn du da hoch kletterst, sieh immer zu, dass du mit einer Hand fest an der Stange bist. Ja, genau so. Und mit einem Fuß immer sicher stehen. Halt fällt nicht vom Himmel, der kommt aus der Hüfte. Hier, spürst du das, wo meine Hand ist? Da muss es fest sein. Keine Angst, ich hab Kinder auffangen studiert. Ich fange Kinder auch nachts um zwei im Tiefschlaf auf. Kannste glauben.


Ich hatte so gedacht, dass ich dich heute zum Training fahre. Ich kenne deinen Herrn Langer ja noch von früher. Da hat der uns auch schon den Hügel hoch und runter gescheucht. Auch wenn das Knie um zwei Ecken guckte, der kannte keine Gnade. Komm, ich fahr dich und schau beim Training zu. Und wenn der dich dumm macht, mach ich ihn dümmer.

Ach vergiss die ollen Teppiche. Dann sind die halt nass. Die werden auch wieder trocken, unten im Hof. Guck mal, wenn man von hier oben so schaut, sieht es aus wie ein Blumenbeet. Ein hässliches braunes Blumenbeet, das lange niemand gegossen hat. Und wenn die Frau Schmieder noch mal hier hoch kommt und dir am Ohr zieht, steck ich der die Lockenwickler in Brand.


Du siehst so traurig aus manchmal. Meinste es ist wirklich nichts? Sagst du mir, wenn was ist? Ich meine was Schlimmes? Ich verlass mich drauf. Kann ja keine Gedanken lesen.

Weiß du, mir ging das damals ähnlich. Ich hab nie verstanden, warum man manche Dinge tun soll und andere lassen. Aufessen zum Beispiel, total sinnlos. Wenn der Bauch voll ist, ist er voll. Warum soll ich da noch Kartoffelbreitürme bis hoch in die Speiseröhre bauen? Und wenn ich von Fisch brechen muss, dann schmeckt der mir auch nicht besser, wenn ihn mir jemand in den Mund schiebt. Oder dieses Spazierengehen am Sonntag. Ich hab es gehasst. Kein Ziel hat man da. Man reiht sich ein in den Schwarm Menschen um den Teich und ständig versperrt einem einer den Weg. Oder dass man Erwachsene nicht mit Du anreden soll. So ein Quatsch. Als wären wir was Besseres.


Ich hol dich heute ab. Könnwa ja noch was machen dann. Worauf haste Lust?

Deine Mutter und ich, wir haben uns getrennt. Es tut mir so sehr leid. Ja, ich bin auch traurig. Keine Ahnung, was ich dazu jetzt noch sagen soll. Nein, du musst dich nicht entscheiden zwischen uns. Versprochen, irgendwann erklär ich dir, warum das richtig war. Auch wenn es sich jetzt gerade nicht so anfühlt. Du musst mir aber auch was versprechen. Nämlich dass du dir bis dahin nicht einredest, dass es was mit dir zu tun hat. Das hat es nämlich nicht im Geringsten.


Ein Mann sein heißt, du selbst zu sein. Nichts weiter. Du bist nicht besser oder schlechter als irgendwer, als keine Frau, als kein anderer Mann, wenn du einer bist. Aber du solltest wissen, wer du bist. Und dann was du willst. Dann klappt das schon. Respekt ist wichtig. Keine Angst, sondern Respekt vor dem Willen der anderen. Und mit den Mädels, was soll ich sagen. Das tut auch mal weh, klar. Aber die wissen eben auch oft nur nicht, wohin sie sollen mit sich. Die probieren dich mal aus, mal suchen sie dich aus. Kannste dir nicht aussuchen. Aber ohne macht auch keinen Sinn. Stell dir vor, die wären nicht da. Keine mehr. Nicht in der Schule, nicht auf der Straße, nicht in deinen Comics. Sei vorsichtig mit den Herzen der anderen. Aber lass auch deins nicht im Stich. Und wenn wer Nein sagt, heißt das Nein.


Klar, ich kann dich heute mitnehmen aufs Konzert. Aber ich kann dich da nicht die ganze Zeit auf die Schultern nehmen. Da sehe ich ja danach aus wie der Mikrofonständer von Mick Jagger 1965 in der Waldbühne. Und du musst mit mir gleich noch das letzte Album anhören. Ist besser, wenn man auf einem Konzert auch mal einen Song kennt. Am besten wir gehen nach oben auf den Balkon der Columbiahalle. Dann kannste gut sehen, was der Sänger auf der Bühne veranstaltet. Das ist ein Bewegungsclown, sag ich dir. Der jongliert mit seinen Gliedmaßen und schreit dabei wie ein rolliger Braunbär. Mama sagen wir, dass wir zu Andi gehen.


Damals beim Studium, da hab ich auf einem Geburtstag mal so viel gesoffen, dass ich abends nicht mehr wusste, wo ich wohne. Meine netten Kumpels haben mich nicht mehr auf mein Rad gelassen, und da musste ich laufen. Und scheinbar, ich weiß es ja nicht mehr so richtig, hab ich dann irgendwo geklingelt und gefragt, ob ich da wohne. Am nächsten morgen bin ich jedenfalls in einem völlig fremden Zimmer aufgewacht. Mit Blümchentapete und Porzellanpuppen und so Kram um mich rum. Eine nette alte Frau brachte mir einen Kaffee. Und meinte zu mir, dass sie sich, seit ihr Mann gestorben ist, sehr allein fühlt und sie sich sehr über meinen Besuch gefreut hat. Da hab ich schnell ausgetrunken und bin raus. Ab da bin ich nach dem Trinken nicht mehr allein heim.


Sie hat dich verlassen? Ach verdammt, das tut mir leid. Aber ich sag dir was. Jetzt biste ne Weile traurig, machste dein Kissen ordentlich nass, und dann erinnerste dich mal daran, wie oft die nicht bei dir sein wollte, sondern irgendwo rumgeflogen ist. Die wollte nie, was du wolltest. Ich weiß, das hört sich dumm an, aber es ist besser so. Ja, dummer Elternspruch. Haste Recht.


Ja, ich hab das auch. Den Mist hast du von mir. Deine Mutter ist ja eher ne Frohnatur, aber bei mir kommen immer auch mal die Schatten. Lass dich nicht erschrecken von denen. Die gehen auch wieder. Die gehören zu dir, wie deine Pickel und deine Flecken in den Augen auch. Du musst sie nicht lieben, aber du kannst lernen, damit zu leben. Sag dir einfach immer, dass es vorbei geht. Und nach dem ersten Mal, wenns ganz schlimm war, und dann wieder gut, dann weißt du das auch. Und wenn du mal gar nicht mehr weiter weißt, ruf wen an. Muss ja nicht ich sein, auch wenn ich mich freuen würde. Weißte ja. Nee, kannst auch deinen besten Kumpel anrufen. Oder von mir aus deinen letzten Busfahrer, wenn der was im Kopf hatte. Hauptsache du redest drüber. Reden ist für die Schatten nämlich ungefähr so, als würde einer die Sonne ganz grade oben an den Himmel stellen.


Studieren oder gleich Arbeiten? Keine Ahnung. Wichtig ist, dass du was du tust, tun willst. Nur so hast du eine Chance darauf, dass es gut wird. Wenn du willst schauen wir uns mal ne Uni an. Leipzig sagste? Find ich gut. Da kenn ich ein paar gute Kneipen. Nee, keine Angst, ich werd nicht peinlich sein. Nicht mehr als sonst.


Hör mal, ich weiß ich sollte mich da nicht einmischen. Aber überleg dir noch mal, ob du deinen besten Freund wirklich abschießen willst. Ich verstehe, dass du sauer bist. Wär ich auch. Ich hätte Bernd dafür die Fresse poliert, und das nicht mit einem weichen Lappen, verstehst du. Aber so einen guten Freund findest du nicht mehr so oft, weißt du. Ich weiß wovon ich rede. Das ist ein bißchen wie mit Eltern. Irgendwie kann man die sich nicht aussuchen, und man denkt auch oft, was das jetzt wieder sollte, aber es ist schön, wenn sie da sind. Und da bleiben. Das machen nämlich nicht viele, weißt du. Für viele bist du einfach egal. Für die nicht. Nie. Ach und, ruf mal deine Mutter an. Die vermisst dich und heult mir die ganze Zeit die Ohren voll. Hält ja keiner aus auf Dauer.


Warum ich so lang weg war? Ich weiß, das war nicht cool für dich. Ich fand das selbst nicht so lässig von mir. Aber manchmal braucht man Zeit, um Dinge zu verstehen. Und sich klar zu werden darüber, warum man was macht, und was man nicht mehr machen will. Komm, ich geb dir n Bier aus. Und dann stellst du mir dein neues Mädchen vor.

Alles Dinge, die mein Vater nie zu mir gesagt hat.


 .felix wetzel.

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