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#58 // Nogger



Markus lief rechts von mir. Das Gras wich seinen Füßen mit einem ängstlichen Rascheln aus. Sein Blick war hoch konzentriert, sein schlaksiger Körper stand unter Spannung. Seine dünnen Arme sahen aus wie Überlandleitungskabel. „Wo gehen wir hin?“, fragte ich ihn leise. „Shhh, geh einfach den Jungs nach. Die wissen schon.“ Der dicke Marten, der durchtrainierte René und sein bester Kumpel Klatsche liefen ein Stück vor uns. Sie peilten ein Stück freie Wiese an. Die ersten potenziellen Liegenachbarn rückten schon ihre Handtücher unauffällig ein Stück zur Seite. Meine Kumpels sahen nach Ärger aus. Die Tätowierungen, die dicken Arme. Aber vor allem die Körpersprache war es. Alle Rücken gerade wie die Avus vor dem Dreieck Funkturm, die Köpfe oben mit durchgestrecktem Kinn. Und der Blick. Suchend. Sich vergewissernd, dass alle im Freibad heute Vormittag vorm Losgehen vor genau diesem Moment Schiss gehabt hatten: Die Faschos kamen. Und ich war einer von ihnen.


Der freie Grasfleck, auf den wir unsere Handtücher legten, war ziemlich genau in der Mitte der großen Liegewiese. Man konnte von hier aus alles sehen, was in einem Freibad wichtig war. Den Sprungturm, die Umkleiden, den Bademeister. Und alle anderen Gäste. „Hier bleiben wir.“ kommandierte René. Und tatsächlich blieben wir alle wie auf Kommando stehen und rollten unsere Handtücher aus. Um uns herum unterhielten sich die Leute hinter Schalldämpfern. Die Leute guckten. Sie guckten auf Renés Wikinger auf der Wade. Sie guckten auf Markus’ schlacksige Beine mit den Schürfwunden vom Enduro-Fahren. Sie guckten auf den dicken Marten, der die Glatze zehn Minuten vor dem Losgehen noch poliert hatte. Sie guckten, wie Klatsche in seinen dunkelblauen Badeshorts neben seinem Handtuch stand, die Umgebung scannte und dabei seine Fingerknöchel massierte. Und sie guckten auf meine frisch rasierten drei Millimeter mit den Dreadlocks auf dem Hinterkopf. Vermutlich fragten sie sich, wie ich in die diese Gruppe gekommen war. Und ich fragte mich das auch.

„Hat das weh getan?“ Ich lag einen halben Meter mit meinem Gesicht entfernt vom Wikinger und wollte es einfach wissen. Ich fragte mich das, seit ich Renés Wade im Frühjahr das erste Mal an der frischen Luft gesehen hatte. Die Tätowierung schaute mich böse an, als hätte sie meine Frage gehört. „Die stinken bestimmt. Guck die dir doch mal an. Pack.“ Ich brauchte einen Moment um zu verstehen, dass René mich nicht gehört hatte und mit Klatsche redete. Die beiden lagen akkurat parallel zueinander auf dem Bauch und beobachteten eine Gruppe Mädchen mit bunten Haaren, die gegenüber lagen. „Shhh, Alter, halt die Klappe.“ Markus rauschte mir von hinten zu und zog dabei an meinem Knöchel. „Komm mal, ich muss mit dir texten“ sagte er. Wir standen auf und gingen in Richtung der Imbissbude. „Was is los?“ fragte ich und ich wusste es wirklich nicht. „Du kannst René nicht einfach anquatschen. Auch wenn du mein Kumpel bist. Bist doch ne Zecke.“ Er sagte das so, als hätte ich das vergessen, und nicht er. Wir stellen uns in die Reihe vor dem Kiosk. Eine Frau vor uns bestellte drei Flutschfinger. „Haut der mir aufs Maul, wenn ich den anspreche, oder wie?“ Markus zuckte nur mit den Schultern. Seine blasse Haut spannte sich über hohlen Knochen. „Sicher ist sicher, weißte. Der muss erst mal lernen, dass du cool bist.“ „Ich bin cool.“ „Ja, ich weiß. Was willstn fürn Eis? Ich geb dir eins aus.“ Ich wollte ein Nogger Choc. Markus lachte nur dreckig und holte Luft. „Spar dir den Witz“ sagte ich. Auch wenn Markus Witze in letzter Zeit echt schwierig geworden waren, sein Grinsen war so ansteckend.


„Schön, dass wir mal wieder was machen. Is ewig her.“ Markus biss in sein Eis und etwas gelbes Zuckerwasser tropfte ihm auf die Brust. „Ja, stimmt“ sagte ich. „War auch ewig nich hier. Letztes mal mit dir letzten Sommer. Weißte noch? Die Mädels aus Hamburg?“ „Ja, geil war das. Mit den Jungs bin ich diesen Sommer in den Ferien eigentlich jede Woche hier gewesen. Fast jeden Tag.“ Ich biss auf den Schokokern. Markus auf Holz. „Wär cool wenn du öfter kommen würdest.“ „Ja, wär cool.“ „Schau einfach, dass René dich heute nicht umbringt. Dann wird das schon.“ Markus lachte, er wollte witzig sein. Aber Renés Wikinger verstand keinen Spaß. Sein Grinsen legte sich in den Schatten unter seinen Augen.

Zurück an der Zentrale, so nannte Klatsche unseren Platz dauernd, standen Klatsche, René und Marten auf ihren Handtüchern und schauten alle in eine Richtung. Eine Keksrolle schwitzte einsam in der Sonne. Klatsche telefonierte. „Scheint Ärger zu geben“ sagte Markus und lief etwas schneller. Und dann sah ich den Ärger auch. Eine Gruppe Punks, oder besser – eine Gruppe Jungs mit Haaren wie meine ­– hatte sich in unsere Nähe gelegt. Aus ihrem Kassettenrekorder grölten Wizo etwas vom letzten Schlachthof. Ich biss mir auf die Zunge, um nicht mitzusingen. Sie waren zu acht und sie hatten eine ihrer Lederjacken auf einen Stock gespannt und in unsere Richtung gedreht. „Good night white pride“ stand darauf. Und jetzt war mir auch klar, was Klatsche machte. Er rief die Verstärkung an. „Bis gleich!“ sagte er ins Telefon. Die Mädchen mit den bunten Haaren hatten ihre Handtücher zu den Punks gezogen und unterhielten sich über uns. Abwechselnd schauten sie rüber und kicherten. Klatsche steckte sein Telefon in den Hosenbund und flüsterte René etwas zu. Der nickte und pumpte mit einem Atemzug seinen Brustkorb auf. Sein Blick lag wie ein Stein auf den anderen gegenüber. Klatsche massierte seine Knöchel. Ich aß eine warme Pflaume, die ich mir eingesteckt hatte. Sie war an der Seite etwas aufgeplatzt. Die Pflaume und ich, wir hatten viel gemeinsam.


„Die scheiß Zecken machen immer Stress. Nicht mal in Ruhe ins Freibad gehen kann man.“ Der dicke Marten kam zu Markus und mir. Er hatte Schwangerschaftsstreifen an den Hüften. „Am liebsten würd ich hier einmal mit der Kompanie Ost durch. Weißte Markus? Einmal aufräumen und dann ist endlich Ruhe.“ Er schaute mich an und ich nickte aus Reflex. Kopfschüttelnd ging Marten wieder zu den beiden anderen und stellte sich zu ihnen an die Front. „Kompanie Ost?“ Ich schaute Markus fragend an. „Eine ziemlich fiese Naziskintruppe aus dem Neubaugebiet. Sind Freunde von René und Klatsche. Ich glaub die haben die auch gerade angerufen. René will mich mal mitnehmen, hat er gesagt. Die machen viel Action.“ Ich überlegte kurz, aber außer einem komischen Gefühl im Bauch hatte ich nichts beizutragen. „Hast du Lust schwimmen zu gehen?“ Markus schaute mich entgeistert an. „Jetzt doch nicht, man. Wir müssen zusammen bleiben.“ Markus wirkte unruhig, immer wieder drehte er sich in Richtung der aufgespannten Lederjacke. „Heute bist du einer von uns, mein Freund.“ René war zu uns gekommen. Ich erschrak und zuckte vielleicht sogar ein bißchen zu sehr. Er stand vor mir und schaute mir mit seinen stechend blaugrauen Augen direkt in die volle Unterhose. „Oder willst du rüber zu deinen Zeckenfreunden?“ Fiese Frage. Das Tribal auf seinem Oberarm bekam Beulen. „Nee. Ich bin doch mit euch hier. Eigentlich wollte ich auch nur schwimmen gehen. Is so heiß heute.“ René war mit meiner Antwort nicht zufrieden. „Kennst du einen von denen?“ Ich schaute in Richtung Wizo. Zwei der Typen kannte ich vom Sehen aus dem besetzten Bauernhaus. Aber ich hatte keine Lust auf den Stress, den René wollte. „Nee“ sagte ich. Er musterte mich. „Mach keinen Scheiß, ja?“ „Nee, macht er nicht, René. Er ist okay, glaub mir.“ Markus legte mir den Arm auf die Schulter, wobei ich nicht genau wusste, ob er mich beschützen oder in den Schwitzkasten nehmen wollte. „Richard hat geschrieben. Die sind in einer halben Stunden da.“ Klatsche wirkte fast erleichtert. „Gut“ sagte René und massierte sich seine Fingerknöchel. Sie waren so weiß wie der Rest Sonnencreme auf seinem Hals.


Mir war heiß. Es war ein traumhafter Sommertag, dreißig Grad im Schatten und ich musste jetzt mal ins Wasser. Das Freibad war voll, es roch nach Sonnenschutzfaktor 30 und ein wenig neidisch schaute ich auf eine Gruppe Jungs, die Volleyball im Kreis spielten. Zum Becken ging ich einen Umweg. Ich machte einen Bogen um die bunten Mädchen und die Lederjacke am Stiel. Ich lief einen kleinen Berg hoch, den FKK Berg. Dann hinten am Zaun entlang, hinterm Kiosk vorbei und in Richtung der Umkleidekabinen. Als ich am Bademeister vorbeikam, schaute der mir lange nach. Wie ein Uhu drehte sich sein Kopf. Als ich endlich am Startblock angekommen war und mich schon kopfüber ins blaukalte Chlor tauchen sah, legte mir jemand von hinten eine Hand auf die Schulter. Ich drehte mich um und rechnete mit dem Bademeister. Aber es war einer der Typen aus dem besetzten Haus. Mollo nannten ihn alle. Weil er angeblich mal einen Molotow Cocktail auf ein Polizeiauto geworfen hatte. Erzählte Mollo nach dem zweiten Bier. „Seit wann bistn du ein Fascho?“ Sein Blick ging geradeaus durch mich hindurch, vermutlich war hinter mir das große Ganze. „Bin ich nich.“ „Und warum hängst du dann mit René Schubert rum? Dem Oberfascho vom Dienst?“ Irgendwie hatte ich keine Lust mich zu rechtfertigen. „Ich hänge nicht mit dem rum. Bin bloß im Schwimmbad. Mit Markus.“ „Also mit den Faschos. Findest du das nicht selbst bisschen Assi?“ Ich zog meine Schulter unter seiner Hand weg und stieg auf den Startblock. Jetzt war ich einen halben Kopf größer als er und konnte auf seine Dreadlocks schauen. Am Haaransatz hinten waren sie schon etwas dünn. Ein ziemlich hübsches Mädchen in einem blauen Bikini stellte sich hinter uns und wippte ungeduldig von einem Fuß auf den anderen. „Springt ihr heute noch?“ fragte sie ungeduldig. Mollo ignorierte das Bikinimodel. „Sag deinen Freunden, dass gleich noch ein paar mehr aus dem Haus kommen. Die sollen sich verpissen. Das ist unser Bad.“ Auf Mollos Stirn stand dickflüssiger Stress. „ Das sind nicht meine Freunde, man. Ich will nur schwimmen, Mollo. Sonst nix. Entspann dich.“ Und dann sprang ich los und tauchte so weit, bis mir fast die Lunge platzte. Als ich wieder atmen und schauen konnte, sah ich Mollo ums Becken zurück zur Lederjacke laufen. Seine Dreadlocks hassten mich jetzt.


„Du, Markus…“ „Wo warst du man?“ „Ich war schwimmen. Alter, ich werd jetzt…“ „Du kannst doch nicht einfach abhauen. Hier gibt’s gleich Stress.“ Ich schaute zu den Punks rüber. Auch sie standen jetzt auf ihren Handtüchern, und auch wenn sie Bäuche hatten, massierten sie ihre Fingerknöchel. Ich konnte sehen, wie weiß sie waren. „Du Markus, mir ist eingefallen, dass meine Mutter mit mir heute Möbel fürs Zimmer kaufen wollte. Hab ich total vergessen.“ Markus schaute mich misstrauisch an. „Dein Ernst? Du kannst mich jetzt nicht hängen lassen. Dass du hier mit durftest war echt keine kleine Sache. Ich hab René versprochen, dass du cool bist.“ „Ich bin ja cool. Aber ich muss heim, sonst macht Mutti Stress.“ „Deine Mutter würd ich gern mal…“ „Jaja, halt’s Maul.“ Ich schaue Markus an und meine Augen hingen ihn an den Horizont. Er wurde immer kleiner. „Kommst du noch mal wieder?“ Ich rollte mein Handtuch ein und schaute auf Renés tätowierten Wikinger, der mich vorwurfsvoll anschaute. Er stand noch immer mit Klatsche und Marten an der Front. Marten hatte sich schon seinen Rücken verbrannt, die Schwangerschaftsstreifen leuchteten leicht lila. „Nee, ich denk das wird ne Weile dauern.“ Markus wirkte enttäuscht. Unter seinen drei Millimetern hatte die Kopfhaut begonnen zu kochen. Schweiß stürzte sich an seinen Schläfen hinab in den Rasen. Ich machte einen Schritt auf René und Klatsche zu, da hielt mich Markus an der Schulter fest. „Würd ich nicht machen, Amigo.“ Er drückte mich. „Wir machen das hier ohne dich fertig, ja?“ „Na klar. Macht mal. Machs gut. Wir sehen uns.“ Markus lächelte nicht, als ich ihn anlächelte. Markus zog in den Krieg. Er drehte sich rum und stellte sich in Reihe neben die anderen drei Frontsoldaten. René klopfte Markus mit der einen Hand auf die Schulter, mit der anderen rauchte er. Dann drehte er sich zu mir um. Sein Blick durchbohrte mich mit einer Softeiswaffel aus Kruppstahl. Dann nickte er zwei Mal langsam, als wäre eine graue Wolke vor seinem Verstand vorbei gezogen. Dann bekam er Rauch ins Auge. Ich ging ab.  


Am Eingang kamen mir fünf Naziskins entgegen. Sie rannten. Scheinbar waren sie von einem Freibad ins andere gekommen, alle trugen Badeschuhe und kurze Hosen, einer hatte sogar Sonnencreme in der Hosentasche, ein anderer trug einen Strandbeutel über der Schulter. Ein Baseballschläger schaute ein Stück raus und glänzte in der Sonne. Die Kompanie Ost in aller Sommerfrische, dachte ich. Und für einen Moment überlegte ich, ob ich ihnen von den Leuten aus dem Haus erzählen müsste, die doch noch kommen wollten. Aber dann kam auch schon mein Bus. Ich zeigte dem Fahrer mein Monatsticket und setzte mich nach hinten links. Als wir losfuhren dachte ich daran, wie Markus mir damals vor Jahren den Arsch vor den Siebtklässlern auf dem Schulhof gerettet hatte. Und ein bisschen bekam ich ein schlechtes Gewissen. Aber nach zwei Stationen stieg es aus und hing sich neben Markus an den Horizont.  

 

.felix wetzel.

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