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#56 // Comeback



Ich wache auf, die Sonne tätowiert das Weiß der Rauhfaser in mein Schwarz. Ich weiß nicht wo ich bin, orientierungslos im halbleeren Raum. Die Konturen des Zimmers, die Position der Lichtschalter, das Haus gegenüber. Ich erkenne nichts wieder. Der Körper fährt langsam hoch, die Erinnerung kommt in kalten Schüben. Das ist also wirklich passiert. Forever alone. Ich stelle meinen Oberkörper auf die Ellenbogen. Geträumt habe ich nichts, an das ich mich erinnern könnte. Aber es fühlt sich so an, als hätte ich etwas träumen müssen. Etwas, das in der Zukunft liegt. Aber da ist nichts im Gestern, das auf Morgen verweist. Die Zukunft verwaist. In der Ecke stehen Umzugskartons, auf manchen steht darauf, was darin ist. Auf keinem steht, das sie hier nicht stehen sollten. Als ich aufstehe, knackt das Laminat unter meinen Füßen einen verpfuschten Blues. Off-beat. Im zweiten Zimmer fliegt ein Schwarm Möbel durcheinander, bis auf die Schubladen gerupft. Alles sieht so aus, als hätte es den Abflug in den Süden verpasst. Das leere Kinderbett macht in mir Dezember. Draußen ist Schnee gefallen, es ist ein kalter März. Obwohl es fast Mittag ist, sind die Schatten lang. Das war nicht immer so.


Sechseinhalb Jahre ist das her, gefühlt 666. Eine Zeit, in der Präsidenten kommen und gehen. Balsabäume wachsen währenddessen über 30 Meter hoch. Sechseinhalb Jahre waren bei meiner Mutter früher etwa zwei geklebte Fotoalben. Eine Zeit, in der Fotos blass werden und Freundschaften auf Bildern alt. Sechseinhalb Jahre wirken im Nachhinein wie ein Ausgehabend in Kreuzberg an einem Samstag: im Moment ewig und danach fehlen bis Dienstagabend die Endorphine. Drei Star Wars Filme kommen in der Zeit ins Kino, Hoffnung, Böse, Hoffnung, in der Reihenfolge, und immer, wirklich immer stirbt irgendwer, den man dann irgendwie doch wieder sieht. Märchen halt, verblöden das Herz. Der Papst hat sechsmal zu Ostern was mit Obi gesagt und jedes Jahr ist das eine Meldung im Radio wert. Sechsmal war Weihnachten, die Magenschleimhaut bildet Ringe aus Plätzchen und Bratenfett. Ich bin jetzt Mitte 30. Was sind da für mich schon sechseinhalb Jahre. Ein knappes Sechstel. Lächerlich wenn man bedenkt, dass es ja auch immer weniger wird im Laufe der Zeit, das Verhältnis aus Zeit und mir. Vor sechseinhalb Jahren war meine Tochter 3. Jetzt ist sie 9. Zwei Drittel Leben. Schöne Scheiße.


Der Jupiter braucht knapp 12 Jahre für einen Umlauf um die Sonne. Der Neptun knapp 165. Irgendeine Seite liegt immer im Schatten, das ist in der Milchstraße nicht anders als auf der Schönhauser. Dunkelheit kann dauern. Sie muss auch nicht am Stück sein, es reicht wenn sie in kleinen Stücken kommt. Mitten am Tag, während du gerade etwas schön finden solltest. Mitten im Gespräch, wenn einer gerade was erzählen will. Hast du einen Schatten? Wenn nicht, sei froh und halt dich raus. Wenn du einen hast, hast du meine Hochachtung. Dafür, dass du hier noch sitzt und das liest. Dafür, dass du dich nicht aufgibst und in dieser Welt immer wieder Dinge suchst, die dich nicht trocken in dein Herz ficken. Mein Schatten war verdammt lang, aber ich war länger. Hab mich raus gestreckt aus dem Nichtlicht. Bin raus gewachsen aus dem selbstgeschaufelten Loch, sechseinhalb Meter unter meiner Oberfläche. Hab da oben manchmal Hände gesehen, manchmal tagelang nur den Sternenhimmel, zwischen Angst vor der und Hoffnung auf die Schaufel Erde, die den Deckel endgültig drauf macht. Aber kam keiner. Alles muss man selber machen. Leben, sterben, alles dazwischen. Bis hoch in den sechsten Stock bin ich raus. Hier oben rauscht die Stadt. Alle fünf Minuten klingelt einer. Dass etwas nicht stimmt, merkst du als erstes an der Ruhe, da, wo keine sein sollte. Im Kinderzimmer. In den Kissen. Im Posteingang. Wenn Freunde sich nicht mehr melden, weil du ihnen zu anstrengend bist, mit deiner Geschichte. Wo war deine Schulter. Wenn Menschen gehen, weil du verbraucht bist. Wo war deine Liebe. Wenn du allein durchs Bodenblech rauschst und keiner im dunklen Tunnel nach dir ruft. Wo warst du.


Viereinhalb Versuche seitdem. Wieder reinzukommen in die Welt. Aber so leicht lässt sie dich nicht. Die Bitch dreht sich so schnell, Kettenkarussell in sechs Metern Höhe. Häng dich da mal rein, ohne dass dir was abreißt. Einzug, Auszug. Kennenlernen, Flennen lernen. Auf Äußeres wertlegen, Inneres freilegen. Betten neu beziehen, Eltern treffen. Verliebtheit, geficktes Sehnen, verficktes Gehen. Und immer wieder: Fallen aus sechseinhalb Metern Höhe. Aufschlag, dumpfes Klatschen, Blut im Mund, Zähne zählen. Aufstehen nach einer Nacht im Rinnstein, die Knochen sortieren. Spätestens beim zweiten Mal beschriftest du die. Aber ich hab das ja so gewollt. Könnte mich ja auch zurücklehnen, in den Wald ziehen, mich von Berlin auffressen lassen. Einer werden von denen, die immer was zu feiern haben. Und längst nicht mehr wissen, was es eigentlich war. Nein, sechseinhalb Jahre steht nicht umsonst auf meinem Wanderpokal fürs Comeback der Dekade. Ich hab das ja so gewollt. Alles und so. Andererseits. Wer gibt schon gern auf. Die Relativierung meines Fühlens in Anbetracht der Welt kotzt mich an.


Ach, die Welt geht vor die Hunde, meinst du. Trump und all die Wixer. Das Kapital, die Armen, die Flüchtlinge, Tomatensorten, grenzdebile Grenzschussdebatten. Kriege um Inseln und Öle und nie genug kriegen. Ja man, weiß ich alles. Hab ich gesehen. Ich hab Gedichte geschrieben, rumdiskutiert, demonstriert mit Tausenden und Hunderten. War im Stasiknast. Hab Mittelfinger auf die andere Spreeseite geworfen. Hab sinnlose Petitionen geteilt, damit Freunde weiter meine Radiohead Videos liken. Hab gewählt, jedes Mal. Bin jedes Mal mehr Minderheit geworden, Ein Mal Eins der Weltverbesserung. Jetzt stellt dir einfach vor, dass in dieser Welt auch noch deine Welt untergeht. Du ahnst es nicht. Und wenn doch: Lass uns zusammen auf den Untergang saufen. Hinten, am Ende des Ganges, hat meine Tochter jetzt wieder ein eigenes Zimmer, ohne meinen Wäscheständer darin, ohne mein Fahrrad, ohne meinen Schrank. Diesen scheiß Schrank, den hab ich als erstes zerlegt. Und bald kommt noch eine Tochter. Soll keiner sagen, ich würde diese Welt nicht am Laufen halten.  


Sechseinhalb Jahre später macht die Sonne warme Faxen an meiner Wand. Ich wache in einer Welt auf, die ausgetauscht ist. Erster gegen sechster. Laminat gegen Parkett. Absicht gegen aus Versehen. Irgendwas hab ich geträumt, das mich jetzt glauben lässt, ich hätte was verpasst. Ich stemme mich aus den dünnen Laken, Sommer halt, werfe mich um die Ecken ins Wohnzimmer. Obwohl ich erst ein paar Tage hier bin, kenne ich schon jeden Weg, hab in alle Ecken gesehen. Niemand ist da, aber alle Türen sind offen. Im Flur liegt eine Legofigur auf dem Boden. Chewbacca. Im Bad ist der Föhn noch warm. Prinzessin Leia. Meine Beine sind müde, wundgelaufene Mahnmale an mich selbst. Durch meinen Hals laufen rostige Stahlkabel. Knarzen bei jedem Blick über die Schulter. Orthopäden sagen: So locker wie früher werde ich nie mehr. Bandscheibenverfall. Ausschlafen kannst du vergessen.


Zu viel Angst was zu verpassen. Und diese Wut. Ein fetter Laserstrahl, der sich in meinen Gedankenprismen bricht und jeden trifft, der nicht aus Licht ist. Jeden, der ich ist. Jeden, der nicht da war. Die Wut ist noch da, und sie bleibt eine scharfe Kurve in meinem Krummsäbellebenslauf. Zum Glück sind die Fenster hier im sechsten Stock unterm Dach groß. Zum Glück kann mich das Glück hier wieder finden. Es ist so hell, dass mir die Augen tränen. Auf dem Parkett kringeln sich nur ein paar dünne Schatten von den Rollladen. Harmlos. Ich werfe keinen Schatten in der Küche. Zu viel Licht von innen. Vielleicht bleibt das ja jetzt so. Aber frag mich in sechseinhalb Jahren noch mal. Und bitte. Don’t call it a comeback.


.felix wetzel.

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