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#50 // Reminder



„Lass uns nie so werden, wie die anderen“, hast du gesagt. Ich fand das eine gute Idee. „Lass uns das schwören! Sonst vergessen wir das.“, hab ich gesagt. Das fandest du eine passende Antwort. Und dann sind wir mit unseren klappernden Rädern neben dem Radweg durch das Halblicht in irgendeine Kaschemme gefahren, um dort mit billigem Bier anzustoßen auf unseren mächtigen Pakt. Die Autos haben uns übersehen und die Luft war wie eine kalte, klare Schiene, auf der wir nichts falsch machen konnten. Wir hätten den teuersten Schnaps dafür nehmen sollen, vielleicht hätte es dann besser funktioniert. Aber wir waren eben Schaumkronenkönige.


Freundschaft ist wie rote Grütze, die sich nicht greifen lässt, aber prima in den Kragen läuft und sich unter der zweiten Haut breit macht. Und wenn du dich abends ausziehst, findest du garantiert irgendwo ein Stück davon.


Als wir noch in den Hörsälen unsere dämmernde Jugend verschlafen haben, da war sie unser Leben. Wenn wir morgens aufgestanden sind, waren wir entweder noch beieinander. Auf einer Matratze, auf einer Parkbank im Morgengrauen oder mit dem letzten Bier auf halber Tresenhöhe. Oder wenn wir den Weg nach Hause gefunden hatten, erinnerte uns das Stechen im Kopf und das Rauschen in der Brust aneinander. Wir waren uns das Leben, das wir selbst noch nicht hatten. Auf dem Weg in die Zukunft haben wir uns die letzten Meter zur Not getragen. Haben uns den ersten Schritt gegenseitig ins Rotweinglas geredet. Haben in der ersten Reihe der Konzerte am lautesten die Gedanken der anderen mitgebrüllt, weil sie wie unsere klangen. Wir haben uns so oft verloren im Gedränge, im Getöse, im Gelände. Aber wenn wir uns gesehen haben, dann wussten wir wieder, wer wir waren. Wir haben alles voneinander gewusst. Nur nicht, was kommen würde.


Freundschaft ist ein halbvolles Bierglas, das dir mit dem Henkel zuerst auf den Fuß fällt. Aber so, dass kaum was auf den Boden spritzt. Und wenn du später heimläufst, bereust du höchstens den letzten Gin Tonic.  


Wir wollten nie so werden, wie die anderen. Wir haben am Tresen über uns selbst gelacht. Haben uns vorgestellt, wie viele sich das wohl schon vorgenommen haben und was aus ihnen geworden ist. Vielleicht hast du da schon gewusst, dass es schwer werden würde. Manchmal hast du sowas Trübes im Blick. Mein Schatten sieht das. Ich hab am Glauben keinen Zweifel gehabt. Und als das Glas unserer Flaschen sich traf, gab es keinen Zweifel darüber, dass wir anders waren. Dass wir uns nicht aus den Augen verlieren würden, tief versunken in irgendeiner Ledercouch, mit müden Augen von der Notwendigkeit. Dass wir nicht vergessen würden, dass es mehr gibt als das, was wir uns vorstellen können. Dass wir den anderen immer daran erinnern würden, sollte einer von uns mal schwach werden. Daran, was neben dem Leben noch wichtig war: es zusammen auszulachen. Dass wir uns nicht belügen würden, weil wir uns nur dann verstehen könnten. Dass wir gute Väter werden können, ohne die Freiheit zu verlernen. Dass wir immer in der ersten Reihe stehen würden, vorne rechts, weil man nur von dort erkennen kann, ob es der Sänger ernst meint. Wir wollten einander nicht nur dann wichtig sein, wenn wir uns brauchen. Sondern wir wollten einfach da sein.


Freundschaft ist eine Metapher, die nur gelacht Sinn macht. Und wenn du sie zu ernst nimmst, haut sie dir eine rein.


Als wir dann wirklich Väter worden, haben wir uns abends besucht ohne vorher anzurufen. Denn sonst hätten wir nicht aufgemacht. Wir haben unsere Kinder auf den Arm genommen und Pläne für den Sommer gemacht. Da haben wir uns schon aus müden Augen angeschaut. Aber wir haben uns noch erinnert an unseren Pakt, haben ihn zwischen Feuchttüchern und Überstunden zufällig gefunden und ihn beiseite gelegt für ruhigere Tage. Immer öfter hab ich abends die alten Videos angeschaut und Fotos, auf denen wir nicht wussten wohin mit unserer Kraft. Wenn wir uns heute einmal in drei Wochen treffen, sehe ich an deinem Gesicht, welche Wüsten neu dazu gekommen sind. Am Tresen damals waren unten so kleine Haken, an denen man seine Jeansjacke aufhängen konnte. Ich glaube unser Betriebssystem hat sich an dem Abend dort zum ersten Mal aufgehängt. Das Leben ist zu einem seltsamen Zirkus geworden, der vor allem aus jonglierenden Clowns besteht, die wir selbst sind. Und im Publikum sitzen wir nur noch selten, um über uns zu lachen. Jedem sein Zirkuszelt, jedem seine hungrigen Löwen. Damals hatten wir kein Ziel, heute tausend. Wir hatten tausend Wege, heute zehn paar Schuhe für den einen. Wenn wir uns sehen, erzählen wir uns vom Leben. Aber wir sind es nicht mehr.


Freunde sein heißt, dass der Versöhnungssex nicht mit Anfassen funktioniert, sondern mit Ausreden lassen.


Mein Freund, wann ist das nur passiert, dass wir zu glauben begonnen haben, einander nicht mehr zu brauchen. Die Kästen vom Einkauf trägst du selbst hoch. Die Kinder bringst du ins Bett. Der Sommer kommt auch ohne dass du einmal im Frühling raus gehst. Ich brauche dich, weil du mir zeigst, wie man es auch machen kann. Weil du mir sagst, wer ich bin und wer ich sein kann. Gasnachzahlungen bezahlen kann ich alleine. Darüber staunen, wie viel Zeit vergangen ist, nicht. Ich habe gelernt, dass du deinen Weg gehen musst und dass ich, auch wenn ich gern würde, nicht immer mit darauf passe. Ich habe geflucht darüber und geschimpft, weil es eine Schande ist, dich ohne mich gehen zu lassen. Dein trüber Zweifel an unserem Pakt von damals ist heute klare Gewissheit. Wie viele Tage wir sinnlos verschwendet haben mit Stille, wird irgendwann noch laut auf uns zurück fallen.


Freundschaft ist es wert, um sie zu kämpfen. Wie um die letzte Münze für das Wegbier, die in einen nicht ganz so tiefen Gulli gefallen und von oben noch zu sehen ist.


Aber ich kann dich da drüben ja noch sehen, bei deinem Rumgeeier. Ich werde dich nicht verloren geben. Denn ich weiß noch, wie umständlich du dein Rad vor der Kneipe angeschlossen hast und ich weiß noch, wie ich mich auf die Zukunft gefreut habe. Wir waren so schön naiv, dass es mir heute noch feuchte Kringel auf die Bierdeckel macht. Und so werde ich mich an uns erinnern. Im Licht der Straßenlaterne. Das Echo unserer Aufgeregtheit zwischen den bröckelnden Fassaden der Häuser. Ein Denkmal aus Jeans und Promille. Und so werde ich mir dich vorstellen, wenn du das nächste Mal vor mir sitzt, in deinen Terminen ertrinkst und deine Rumcola für die große Freiheit hältst. Auch wenn wir jetzt irgendwie doch wie alle anderen geworden sind, so bleiben wir doch zwei Jungs ohne Plan auf einem Weg. Mit Gepäckträger. Ohne Rücktritt.

.felix wetzel.


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