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#5 // Simmsalabimm



Ich möchte verschwinden können, wann ich will. Als Superkraft will ich das, mit Cape vielleicht und eigener Titelmelodie. Ich brauche nicht fliegen, ich habe sowieso Höhenangst. Ich brauche keinen Hitzeblick, ich verbrenne mir nur selbst den Hintern. Schnell laufen ist sehr unpraktisch, wenn man sich wie ich gern die Dinge am Wegrand anschaut. Auch kräftig sein bringt nichts, wenn eh schon so viel zwischen den Fingern zerbröselt. Geld haben, wenn das als Superkraft zählt, ist schon praktisch, aber am Ende bewundern einen die Leute nicht dafür, sondern beneiden. Nein, ich mag schon gern unsichtbar sein. Das wollte ich als Kind schon. Ich will es immer noch.

Oft wollte ich früher unsichtbar werden, wenn die Erwachsenen über mich redeten, während ich dabei war. So richtig weiß ich gar nicht, warum das eigentlich so unangenehm ist, aber es zieht sich einem alles zusammen. Als wäre man verschwunden, aber nicht freiwillig, sondern die anderen hätten einen verschwinden lassen. Also wollte ich mich gern wirklich in Luft auflösen und ihre besorgten Gesichter sehen, wenn sie nach mir suchten und meinen Namen riefen. Oder heimlich abends den Fernsehfilm mitschauen, den meine Eltern guckten. Das hab ich mir immer sehr spannend vorgestellt. Heute weiß ich, dass sie vermutlich eingeschlafen sind. Als mein richtiger Vater plötzlich unvermittelt auftauchte und ich unten ratlos und sehr sichtbar im Hof stand, in mein Zimmer wollte aber nicht konnte, da wäre ich auch gern einfach an ihm vorbeigeschlichen, so wie sein Leben an meinem vorbei schlich.

Unsichtbar sein oder unsichtbar werden ist bei den meisten Menschen keine sehr beliebte Superkraft, hab ich das Gefühl. Jeder würde es gern können, aber keiner will es dem anderen gönnen. Im Prinzip besitzt kein mir bekannter Superheld diese Kraft, ich kenne aber auch nicht alle. Storm von den Fantastischen Vier kann das, aber ihre Kraft war ein so großes Streitthema für die Menschen, das man ihr noch mehr Kräfte gab, um von der eigentlichen Kraft abzulenken. Unsichtbar werden ist wie Cheaten beim Computerspielen, oder heimlich ein fremdes Tagebuch lesen. Jeder hat etwas zu verbergen und deshalb möchte man lieber keinen unsichtbaren Superhelden. Der würde einen am Ende selbst wegen irgendetwas dran kriegen, das man heimlich tat. Angenommen ich könnte mich unsichtbar machen, ich würde es keinem erzählen. Es würden mich vielleicht alle hassen und ich müsste dauerhaft unsichtbar bleiben. Generell ist es schwer einzuschätzen, wie vielen Menschen man eigentlich einen großen Gefallen tun würde, wenn man weg wäre vom einen Moment auf den nächsten. Vermutlich ist die Zahl größer, als man es wahrhaben will. Verdrängung, auch so ein Verschwindetrick.

Früher wollte ich das gern können, um der Welt entkommen zu können. Eventuell hätte ich damals auch gern mal einen Blick in die Mädchenumkleide geworfen, die waren ja quasi für uns in dem Alter auch unsichtbar, das wäre also nur fair gewesen. Heute würde ich manchmal gern unsichtbar werden, damit ich noch mehr von der Welt mitbekomme. Ich würde zum Beispiel gern in die Wohnungen von anderen Menschen schauen. Ich will wissen, wie die Leute leben und was sie sich in den Schrank stellen. Nicht, weil ich es klauen will oder es gegen sie verwenden, es interessiert mich einfach. Aber mit den Wohnungen ist es ein wenig wie mit den Gefühlen: die öffnet man nicht jedem. Eventuell wäre das die Lösung: Nicht mein Körper würde verschwinden, sondern meine Gefühle. Dann würde sich in meiner Gegenwart keiner mehr Sorgen machen, ich würde niemanden mit meinen Gefühlen verstören, verärgern, verwundern oder verängstigen. Sie würden mir alles erzählen und alles tun, was sie wollen. Vielleicht würden die Leute einfach so die Tür aufmachen und mich hereinbitten. Vielleicht aber erst, wenn ich ihre Gefühle auch verschwinden lassen könnte.

Es gibt ja auch Leute, die wollen gesehen werden. Aber niemand hört sie an. Niemand achtet auf sie. Die sterben in ihren Wohnungen und selbst dann werden sie erst Tage, Wochen oder Jahre später gefunden. Bis auf die Knochen leiden sie daran. Die besten toten Winkel in großen Städten, sind immer noch die eigenen vier Wände. Ich glaube denen würde meine Superkraft ziemlich lächerlich vorkommen. Und mir dann auch, ich würde sie gar nicht mehr einsetzen wollen, oder wenn dann nur zu einem guten Zweck. Aber was soll man mit Unsichtbarkeit schon gutes anstellen. Korrupte Politiker ausspionieren vielleicht, Menschen beim Fremdgehen erwischen.

Storm von den Fantastischen Vier kann mittlerweile zusätzlich andere Menschen und Dinge unsichtbar machen. Das könnte ich mir auch gut vorstellen. Ich würde das Grab meines Vaters unsichtbar machen und meine Wut auf ihn. Ich würde meine Zweifel verschwinden lassen und jeden, der dafür verantwortlich ist. Dich würde ich verschwinden lassen, damit ich dich nicht mehr vergeblich ansehen und schön finden muss. Es wären ganz schön viele Dinge, mir fallen noch einige ein. Vielleicht wäre es deshalb einfacher, ich würde mich selbst verschwinden lassen und jede einzelne meiner Spuren. Dann würde ich eine Weile unsichtbar bleiben und wo anders hingehen, vielleicht in eine andere Stadt. Dort würde ich dann am Stadtrand auftauchen, mich in den Bus setzen und ins Zentrum fahren. Ich würde eine Stelle als Zauberer annehmen.

Ich würde nur einem einzigen Menschen irgendwann erzählen, dass ich verschwinden kann. Aber das würde ich erst tun, wenn ich mir sicher wäre, dass der das nicht will.

.felix wetzel.

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