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#49 // Reise Reise



Ich packe meine Koffer und ich vergesse nicht, wo ich hergekommen bin. Ich laufe los und lasse den Weg auf mich zukommen. Wer mir dabei zu nahe kommt, den nehme ich ein Stück mit. Bis ich den Horizont in die Breite gelaufen habe.


Ich nehme deine würzige Traurigkeit mit, die du mir auf die Lippen geklebt hast, jedes Mal, wenn wir frontal aufeinander getroffen sind. Den seifigen Geruch deiner langen schwarzen Haare, die weit über deinen Rand hingen. Dein Blick für den Schatten, den du mir unter die Lider gelegt hast und der mich bis heute davor bewahrt, mich von ausgebrannten Sternen blenden zu lassen. Die Sicherheit, dass auch über einen Flächenbrand Gras wachsen kann. Den Unterschied, zwischen gefühlter Wahrheit und echter Lüge kenne ich bis heute nicht. Das ist deine Schuld und meine.


Ich nehme das Gefühl von dir mit, nicht allein zu sein mit der wachsenden Größe der Welt. Die Gewissheit, keinen Bruder haben zu müssen, um sich wie einer zu fühlen. Auch wenn uns die schönen Mädchen für einander zu Fremden gemacht haben, so wussten wir wenigstens, dass wir uns wichtig waren. Ich nehme mit, wie man unterm Korb Zug entwickelt und sich nicht abbringen lässt von denen, die einem die Punkte nicht gönnen. Im Gegenteil. Erst den Wurf rein drücken, dann den Spruch. Das Gefühl jemanden zu kennen, der so ist wie man selbst. Gemeinsam vor einem Spiegel zu stehen und nicht unterscheiden zu können im Inneren, und sich totzulachen bis aufs Äußerste. Wie es sich anfühlt, wenn der Beat einsetzt. Und wie man mit dem Mittelfinger aus einer Seitenscheibe den Himmel aufreißt, das nehme ich mit. Die Textsicherheit bei den Doors hab ich mir mittlerweile wieder weg gesoffen. Von dir kam die Freundschaft und mit dir ist sie gegangen.


Ich packe meine Koffer und ich vergesse nicht, wo ich hergekommen bin. Ich laufe los und lasse den Weg auf mich zukommen. Wer mir dabei zu nah kommt, der fühlt sich mitgenommen.


Ich nehme deinen Krampf in der Brust mit, wegen dem du dich immer umgedreht hast, wenn jemand in den Raum kam. Du hast mir deinen Rücken gezeigt, mit dem Stahl in den Schultern. In deinem weißen Unterhemd hast du irgendwo zwischen Flur und Raum gestanden. Von dir nehme ich die laute Stille mit, die einem den Kopf zerreißt, wenn man sie nicht laut gedreht bekommt. Die Musik aus deinem Zimmer war immer gut, auch nachts. Ich nehme das Tick Fuck eines Metronoms um drei Uhr früh mit, das Klacken in meinen Ohren von einer wütenden Schreibmaschine kurz nach Mitternacht, das Splittern von Holz am Freitag gegen Mittag und wie sehr man sich täuschen kann in jemandem. Die Königinnen der Steinzeit liegen mir heute noch mit deinem Namen in den Ohren. Ich nehme die blinde Gewalt mit, die man anderen antun kann, wenn man sich wegdreht und sie nicht sieht. Die Farbe unter meiner Haut wird blasser, tiefer warst du nie.  


Ich nehme deine Unschuld mit. Das frische Knacken eines Herzens, das ausgerechnet im April zum ersten Mal bricht, wenn überall an den Bäumen die Früchte für frischen Körpersaft wachsen. Dein Lächeln, auf dem man zur Sonne spazieren könnte. Das jeden Tag auf mich gewartet hat, das kein Ziel hatte, keinen Grund, außer der Liebe selbst. Die Zuversicht, das das noch nicht alles war, egal worum es geht. Und die totale Sonnenfinsternis, bei der wir so still nebeneinander saßen, dass man die Milchstraße ächzen hören konnte, unter unseren Herzschlägen. Von dir nehme ich mit, dass es immer wieder hell wird, so lange man den Kopf oben halten kann. Dass der Rhein in die Mosel fließt, dass die Laken deiner Mutter schmutziger waren, als unseres, aber das eine gute Sache war in Anbetracht der Güterzugstrecke, die direkt durch uns hindurch führte. Du warst die erste, du wirst immer ganz oben liegen.


Ich packe meine Koffer und ich vergesse nicht, wo ich hergekommen bin. Ich laufe los und lasse nichts auf mich kommen.


Ich nehme deine blonden Haare auf meinem schwarzen Kapuzensweatshirt mit. Überallhin, sogar bis in meinen Kammervorhof. Deine wilden Sprünge auf meinen Rücken, das Ziehen in den Knien, wenn du mich so gern hattest, dass du nicht warten konntest, bis ich mich umgedreht habe. Du hast aus meinem Leben einen Tag der offenen Tür gemacht, ohne dich hätte vielleicht nicht mal mein Name am Klingelschild gestanden. Ich nehme von dir mit, wie das Leben zur ernsten Sache wird, wenn man ihm nicht mit dem nötigen Respekt auf der Straße begegnet. Du hast mir die Erkenntnis in einer Novembernacht gebracht, dass manche Verletzungen so tief sein können, dass man selbst hineinfällt. Du hast aus meinem Schatten deinen gemacht, den nehme ich mit und halte ihn immer wieder gegen das Licht. Ich nehme den einzigen Witz mit, den ich mir merken kann: Was sitzt auf einem Baum und winkt? Ein Huhu. Ich nehme ein kleines blondes Mädchen mit, das erst in dir und jetzt auch in mir wächst und wächst und das wie du lacht, wenn ich es von der Schule abhole. Von dir nehme ich mit, dass man das Ende in zwei Hälften teilen kann, von der eine weiter lebt. Dass man Wochenenden teilen kann, und dabei die Zuversicht verdoppeln.


Ich nehme den Geruch einer Lederjacke mit, die morgens steif auf deinen Schultern hängt. Das Gefühl, nicht zuhause zu sein und sich trotzdem keine richtigen Sorgen machen zu müssen. Wie ein Garten im Sommer riecht, dass ich im Leben keine Pfingstrose sein will, ohne Stacheln und mit Blüten, betäubend hundert Meter gegen den Wind. Die Erkenntnis, dass ein Trabant eine Tatrabahn überholen kann, mit Ach und Motokrach. Dass man, wenn man den Blinker anlässt, von dir aus dem Seitenfenster angeschrien wird. Ich nehme mit, dass ich nachts aufwachen und eingeschlossen sein kann und niemand mich rufen hört. Die berechtigte Angst, allein gelassen zu werden, die nehme ich bis zum Ende mit und hab sie ganz für mich allein. Du hast mir das Gefühl mitgegeben, nicht in diese Welt zu passen. Du hast mir gezeigt, dass das was ich bin, nichts wert ist, bevor ich nicht wie die Welt bin. Das packe ich nicht in meinem Koffer. Das trage ich auf den Schultern, solange, bis ich es mir aus dem Kopf schieße. Dass man im Alter milde wird, weil das Gedächtnis nicht mehr richtig funktioniert und man Angst vor der Abrechnung hat. Ich nehme mich mit, denn ohne dich, könnte ich von dir gar nichts mitnehmen.


Ich packe meine Koffer und ich vergesse nicht.


Wer du gewesen bist, bevor ich dich getroffen habe. Und wer danach. Wie du ausgesehen hast, als ich dir das Herz im Magen umgedreht habe. Und wie, als du darüber hinweg warst. Wie dein Gesicht aussah, als du nicht zurück geschaut hast, während du gegangen bist. Ich nehme dich mit, den ganzen Weg. Ich lasse dich nicht zurück, auch wenn ich nicht spontan vorbei komme oder einmal im Jahr aus dem Urlaub am Meer eine Karte schreibe. Ich packe dich. Du bist da, du liegst oben drauf, darunter oder ganz unten. Du hast mir was gegeben, das packe ich ein, ich packe dich ein, Teile von dir, alles würde ja niemand mit reiner Muskelkraft ertragen können. Und ich laufe und laufe den ganzen verdammten Weg, bis mir einer sagt, dass es gut ist. Dich hab ich dabei, auch wenn du nicht mehr da bist. Es ist gut, dass du jetzt bist, wo du bist und ich bei mir bin. Nur abends manchmal, wenn die Sterne sich als milchiger Film über die Schatten legen, dann reise ich zu dir durch die Zeit auf einem nutzlosen Gedanken, der mir einmal alles bedeutet hat. Und dann, gehe ich weiter, bis es nicht mehr brennt unter den Füßen.


Ich packe meine Koffer.


 .felix wetzel.

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