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  • AutorenbildFelix

#45 // 2:30 Uhr



Bist du echt, frag ich dich. Im dunklen Hinterhof kein Mucks. Nur der volle Mond legt sich silbern in die stillen Schatten. Wir haben die Vorhänge ein Stück offen gelassen, damit die Welt uns nicht völlig aus den Augen verliert, oder anders herum. Berlin ist an seinem Rand auch nur ein Schlaflied, bei dem man die letzte Strophe nicht mehr miterlebt. Du liegst irgendwo vor mir im Schwarz, deine weiße Haut schluckt meine tiefe Nacht. Ich kann deinen Atem hören. Das klingt echt schön. Du nickst, deine Haare rascheln auf dem Kissen. Oder vielleicht schüttelst du auch den Kopf. Eigentlich ist es egal, was du antwortest. Du bist hier und nicht woanders. Du hast deine Sachen in einen echt kleinen Koffer gepackt, der keine Rollen hat, sondern getragen werden will, und bist mit mir hierhin abgehauen. Hierhin, an einen Ort, an dem uns das Leben in Ruhe nachschauen lässt, wer wir einander sind. Seit Tagen leben wir hier in diesem Haus, an das wir irgendwie gekommen sind, weil jemand im Urlaub ist, den du nicht so gut kennst. Schlafen wenig, schlafen beieinander, reden über die Welt und lachen sie von weitem aus. Morgen müssen wir wieder hinaus, dorthin, wo die anderen sind. Dorthin, wo es Regeln gibt. Wo es Klarheit braucht. Hier sind wir einander sicher. Hier gibt es nur uns und unser Laken, das jeden Tag schwerer wird. Und die Fragen in unseren Augen. So richtig weiß ich selbst nicht, was ich meine mit meiner Frage. Ich weiß nur, dass ich dich meine.


Was ist schon echt. Echt kann gut sein. So wie die See und ein kalter Wind, in dem das Salz hängt. Oder ein spontaner Kuss in einem Moment, in dem die Welt gerade kippen wollte. So wie einer, dem man auf Augenhöhe begegnet, der kein Spiel spielt, sondern von seinen Verletzungen erzählt und darüber lachen kann. Der ehrliche Antworten erwartet. Echt ist wenn die Band sich an ihrer eigenen Musik verschluckt und das Publikum dabei vergisst. Echt ist, wenn es sich so anfühlt, als wäre es ehrlich gemeint. Echt ist aber auch echt Mist. So wie das Gefühl wenn in der Wohnung im Regal plötzlich Lücken sind, weil einer endgültig gegangen ist. Oder wie eine Faust, die echt genau in den Magen trifft, mit nur ein paar Worten. Oder wenn man Nachrichten schaut und die verschmierten Bilder sieht, später die verblendeten Kommentare liest und am Verstand der Menschen zweifelt (und am Herz, vor allem an dem). Echt heißt eigentlich nur, dass es irgendwie ehrlich ist. Dass keiner sich versteckt, keiner nur so tut. Manchmal ist das gut. Manchmal ist das Dreck. Ja, vielleicht ist es das, was ich von dir wissen will. Ob du du bist, oder ob ich im Dreck wühle. Denn bei uns fühlt es sich gut an. Ich will wissen, ob du, wenn ich eingeschlafen bin, an einen anderen Ort denkst, an dem du lieber wärst. Einmal der Ort sein, an dem es ein Ende hat. Das wäre echt schön.


Echt ist, was ich will. Das volle Programm. Auch den Schatten, gerade den. Erst im Schatten weißt du das Licht draußen wirklich zu schätzen. Niemand soll nur so tun, als ob. Wir machen das alle viel zu oft. Evolutionsbiologen sagen, Lügen hat uns so weit gebracht. Ich nehme den Evolutionsbiologen mit in unser Bett und zeig ihm unsere Wahrheit. Soll er mal sehen, wie weit wir mit dem warmen Wind unter unseren Laken raus aufs Wasser segeln. Dann schmeiß ich ihn wieder raus in seine Welt. Und ich frage mich, wie weit du mit mir in meine Welt gehen willst, wenn ich dich frage. Ich hab dich heute beobachtet, als du dich angezogen hast vor dem großen schmalen Spiegel, mit den bunten Papierfetzen am Holzrahmen. Du hast dir deinen Pullover übergezogen, dann deine Hose. Und dann hast du einen Moment still gestanden, hast dich leicht nach vorn gebeugt und mit der Hand dein Kinn berührt. Da hab ich gedacht, dass ich gern wissen will, ob du bleiben schon gelernt hast. Und ob ich neben dir stehen kann, wenn du dich das nächste Mal fragst, ob du echt bist. So entsteht nämlich ein Wir. Jeder bleibt, wie er ist. Man lässt nur den Abstand zueinander nicht zu groß werden. Wenn du magst, bleib doch immer eine Armlänge weg, höchstens.


Bist du denn echt, fragst du mich. Deine Hand kriecht über die Decke und sucht mich. Gute Frage. Sieht man mir ja nicht an, wie weit ich schon gegangen bin, auf dem Weg nach etwas, für das es sich lohnt jeden morgen wieder loszugehen. Kannst du ja nicht wissen, dass ich es leid bin unter Menschen zu sein, die nicht bei sich sind, und deshalb auch nicht bei mir. Kannst du ja nicht ahnen, wie oft ich dich anschaue und hoffe, dass ich nicht schon wieder im Fieberwahn einer versoffenen Nacht auf dem Fußboden liege und von besseren Zeiten phantasiere. Woher sollst du auch wissen, dass ich in meinem Textbuch deinen Namen heimlich in schlechte Gedichte schreibe, die ich keinem zeigen kann, schon seit Jahren. Du kannst ja nichts dafür, dass auf meinem Boden hier und da noch Scherben liegen, in die man treten muss, will man bei mir schlafen. Alles was du hast, ist meine geballte Faust unter der Decke, die ich langsam öffne und in deine Richtung schiebe. Dass es dir echt genau so geht, sagst du aus dem Nichts heraus mit deiner ruhigen Stimme, von der ich hoffe, dass sie irgendwann Gute-Nacht-Geschichten vorliest. Dass du auch nicht weißt, woran du bist. Und was wird. Aber dass du bleiben willst.


Irgendwo im Haus knarrt eine Diele. Als würde das Schicksal um uns herum schleichen und abwarten. Ist aber sicher nur die schwere Katze der Hausbesitzerin, die wartet bis wir eingeschlafen sind. Und dann merke ich, dass es egal ist, ob du echt bist, oder ich. Und für ein paar Sekunden denke ich darüber nach, ob das Wort „schlecht“ das Gegenteil von echt ist. Dann nehme ich deine Hand und drücke zu. Du drückst zurück, du hast mal Karate gelernt. In Gedanken lasse ich die nie wieder los, sag ich ins Nichts und lasse dich los. Durch die Dunkelheit drückt dein Lächeln. Wir sind hier, das ist alles, was wir haben, sagst du nicht. Aber ich kann es trotzdem hören.


.felix wetzel.

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