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  • AutorenbildFelix

#39 // Glymur



Ich hab Island gebucht. Eine Woche. Für uns beide. Los, zieh dich an.


Mit meiner Monatskarte können wir mit der S-Bahn bis Beusselstraße. Dann weiter mit dem Bus bis nach Tegel. Ab zwanzig Uhr kannst du bei mir mitfahren. Du kannst immer bei mir mitfahren, wenn du willst. Du darfst nur den verdammten Bus nicht wegfahren lassen. Steig einfach ein. Ich stehe in der Mitte im Gelenk, wo es keine Fenster gibt. Bereuen kannst du es später immer noch, dann kannst du mir sagen, dass es die blödeste Idee der Welt war und ich werde nicken und denken, dass es das wert war. Du brauchst kein Gepäck. Der Plan ist, nichts mitzunehmen. Der Plan ist, keinen Plan zu haben, außer einer Richtung. Und die ist entgegengesetzt zu jetzt. Unterwäsche kauf ich dir da. Wein auch. Ich lade dich auf ein Trollsteak ein, gleich wenn wir da sind. Ich hab extra meine Plattensammlung an einen reichen Engländer verkauft. Er mochte vor allem meine uralten Death Cab For Cutie Bootlegs, aus einer Zeit, in der Indiebands noch Brillen mit dicken Rändern trugen. Mit dem Cash kommen wir solange über die Runden, bis wir genug voneinander haben. Oder du mich zum Spaß neben einem Geysir heiratest. Wir zählen dann von 10 runter, bis er explodiert und du mich aus Versehen küsst. Geysir heißt übrigens „in Bewegung bringen“. Ich fühl mich so reich, wenn ich dich in Jeansjacke und den weißen Sneakers im TXL sitzen sehe. Ich bin so reich in diesem einen Moment, ich kann mir einfach alles leisten. Sogar eine Sekunde nicht hinzusehen, wenn du mich anschaust.


Auf Arbeit kannst du morgen Bescheid sagen, wenn wir in Island sind. Machst ein Foto mit deinem Telefon und schickst es an deine eigene Adresse. Am besten von dem Moment, in dem wir neben dem ersten Wasserfall stehen. Glymur heißt der, und ist so hoch, dass es wirkt, als fiele der Fluss vom Himmel. Setz das Leben cc in deiner E-Mail und lass dir von mir eine Abwesenheitsmitteilung schreiben. Ich schreibe das so gut, weil du abwesend bei mir bist. Eine, bei der alle traurig sind, dass du nicht da bist. Für die anderen wird unsere Ewigkeit ein Alltag sein. Sie werden uns vermissen, wir werden sie vergessen. Wir werden zwischen Felsen herumlaufen und nach Feen suchen. Du wist dir die Sneakers dreckig machen, wenn du mit dem Fuß in den Fluss rutschst, an dessen Ufer wir laufen, so lange laufen, bis wir eine Brücke finden, die wir dann absichtlich nicht benutzen. Wir reißen alle Brücken ab, über die uns die Unmöglichkeiten nachlaufen. Wir werden uns nach zwei Tagen in die Augen schauen und uns besser kennen, als den Weg nach Hause. Es wird uns seltsam vorkommen, dass wir in einer Stadt gelebt haben, ohne uns morgens beim Aufwachen gesehen zu haben. In einem kleinen Holzbett mit dicken weißen Decken werden wir liegen, neben dem ich die ersten Nächte noch unten schlafen muss, bis du dich in mich überwindest. Hast du deine Schuhe schon an? Wir müssen los. Der letzte Flug geht um 23:07 Uhr. Die Ringbahn fährt alle zehn Minuten um die Zeit. Mach dir keine Gedanken darüber, dass du morgen müde sein wirst. Wenn du willst kannst du dort die ganze Woche durchschlafen. Ich bringe dir dann isländische Süßigkeiten aufs Zimmer, von denen ich nicht weiß, was drin ist. Ich schau mir draußen alles an und erzähl es dir, wenn du willst fass ich deine Haare an dabei. Wenn du willst, kann du die ganze Woche durch schlafen und endlich einmal träumen von den Dingen, für die dir sonst der Mut fehlt. Island ist eine Insel. Das Meer drum herum ist tief. Hätte, wäre, deshalb und nein sind Festlandwörter. Du wirst sehen, wie sich deine Sprache verändert. Du wirst dort anders reden als hier. Freier, größer, deine Worte werden den ganzen Raum einnehmen, sie werden durch die kleinen Fenster nach draußen drängen und sie werden die Wolken zerreißen. In Island gibt’s eigentlich immer Wolken. Du wirst sie anschauen und dir nicht mehr vorstellen können, warum du vor ein paar Tagen noch ganz anders warst. Und wenn ich Glück habe, wirst du mich anschauen und dir nicht mehr vorstellen können, warum du dir mich nicht vorstellen konntest neben dir. Aber weil du das nicht wollen würdest, sag ich dir nicht, dass ich das hoffe. Die Stille macht der weite Horizont. Der schluckt den lautesten Gedanken und macht ihn zu einem schneebedeckten Gipfel.


Wir mieten uns ein Auto, wenn wir in Reykjavik sind, damit fahren wir dann raus aus allen geraden Kanten. So eins, wie sie hier auch in Berlin rumfahren. Nichts besonderes, sondern unseres. Ein kleines weißes mit großen Scheiben. Ich habe Mixtapes gemacht mit Liedern, die ich seit Monaten nur höre, weil ich sie dir irgendwann vorspielen wollte. Ich weiß, was du hören magst. Du weißt, was ich so gern hören möchte. Weil du das falsch finden würdest, sagst du es mir aber nicht. Ich fahre, ich fahre gern. Weil ich dann weiß, dass du neben mir sitzt und für mich mit in die Ferne schaust. Und weil ich weiß, dass du nicht weggehen wirst. Dafür fahre ich einfach zu schnell. In den Serpentinen wirst du aus dem Seitenfenster schauen, im Tal werden schwarze Steine auf so grünen Wiesen liegen, dass dir das Grau in deiner Straße lächerlich vorkommen wird. Wir werden an einem Aussichtspunkt halten, von dem aus wir das Ende der Welt nicht sehen können, weil es in Island auch Wolken gibt, die auf der Erde liegen. Es wird nieseln, ein Ehepaar aus Bristol wird neben uns Selfies mit einem Stick machen und dabei einen blauen und einen pinken Regenponcho tragen. Wir tragen nur den Augenblick. Und ich werde dir dabei zusehen, wie du an der Leitplanke stehst und in die Ferne schaust, wie deine blonden Haare unter deiner Mütze hervorschauen und mit der Luft tanzen. Du wirst dir vorstellen, du wärst schon immer hier gewesen. Ich werde dir dabei zusehen und ich werde mir nicht mehr vorstellen können, jemals ohne dich gewesen zu sein. Weil du das unangebracht finden würdest, sag ich es dir aber nicht. Wir müssen langsam los, der Check-in dauert seine Zeit. Ich habe über einen Sondertarif gebucht. Der heißt „Nichts bereuen“. Dabei verkaufen sie einem die Flugtickets so billig, dass man, wenn man von der eigenen Spontanität überrascht wird und doch nicht fliegt, nicht zu viel Geld ausgegeben haben muss. Es ist okay, denke ruhig noch mal darüber nach. Ich lade solange den Lonely Planet für Island auf mein Telefon. Daraus lese ich dir später vor, wenn wir im Flugzeug sitzen und man die Sterne oben von den Sternen unten nicht mehr unterscheiden kann.


Wir werden uns Wale anschauen. Nicht die eingesperrten Kumpels, sondern die wilden. Ich weiß du magst die großen Viecher, weil sie so viel Kraft haben und fast nichts davon benutzen. Wir werden in ein kleines Dorf fahren, auf ein Schiff gehen, das in Teilen rot angestrichen ist, und dann werden wir raus fahren vor die Küste, dorthin, wo man Himmel und Wasser leicht miteinander verwechseln kann. Unter unseren Füßen wird der Diesel klappern und der Wind wird fremde Lieder pfeifen, wenn er um die Ecken unseres Schiffes fliegt. Und dann wirst du vielleicht einen Wal sehen, sie schreiben, dass in 99% aller Fälle ein Wal gesichtet wird. Ich bin mir sicher, dass wir Glück haben werden. Ich bin mir sicher, dass ich gern das eine Prozent wäre, das du noch brauchst, um uns sehen zu können. Wale haben riesige Rücken. Vielleicht wirst du so einen sehen und dir vorstellen, wie man darauf reiten kann. Und dann wirst du dich fragen, warum manche Dinge einfach nicht wahr sein können und ich werde dir an deiner Nase ansehen, dass du das gerade denkst und mich dasselbe fragen. Aber weil ich weiß, dass du mir das nicht glauben würdest, sag ich es dir nicht. Die Leute sagen, dass in Island quasi jeder mit jedem irgendwie verwandt ist. Und weil die Insel so schön aussieht, denkt niemand schlimm darüber, sondern das zwischen den Menschen fühlt sich an, wie ein dicker Pullover mit einem Rentier vorn drauf. Wenn du dich abends in unserem kleinen Zimmer ausziehst, wird das wie warme Haut sein, die sich auf wartende, warme Haut legt. Wenn wir abends in einer Bar an einem Tisch sitzen und uns jemand fragt, woher wir kommen, dann werde ich dich reden lassen, weil ich auf deine Antwort gespannt bin. Postkarten werde ich keine schreiben, niemand zuhause könnte das hier verstehen. Für dich hab ich aber eine in die Jackentasche gesteckt, auf der Vorderseite ist Berlin, der Alex und anderes langweiliges Zeug, das nicht Island ist. Ich habe meine Adresse schon eingetragen in die Zeilen, die dafür vorgesehen sind.


In Island ist es nicht so warm wie zum Beispiel in Spanien. Oder auf den Malediven. Deshalb will ich mit dir dahin. Weil wir uns dick einpacken müssten, um uns zwischen Kaschmir und Synthetik aufzuspüren. Weil wir im Wind stehen und sehen würden, wo wir überall hin können. Weil wir auf das Meer starren und aus dem Nichts einen Weg machen könnten. Und ich möchte sehen, wie rot deine Wangen im Warmen werden, wenn wir abends aus der Kälte zu uns kommen. Wie du versuchst, isländische Speisekarten zu lesen. Und wie sich das Bühnenlicht an deinen Wangen bricht, wenn wir die Band eines bärtigen Cousins von Björk ansehen. Ich möchte sehen, wie du in Unterwäsche die Vorhänge zu machst, weil es draußen nicht dunkel wird. Der Himmel wird dir prächtig stehen. Wir müssten dann jetzt los.

Ich hab Island gebucht. Eine Woche. Für uns beide. Aber weil ich nicht weiß, wie du das findest, behalt ich es für mich.  


.felix wetzel.

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