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  • AutorenbildFelix

#26 // Am Fenster



Weiß ist meine Lieblingsfarbe. Ich weiß, dass das keine Farbe ist, keine Ahnung, wie ich es sonst nennen soll, ich bin kein Kluger. So viele schöne Dinge in meinem Leben waren weiß. Wenn ich sterbe möchte ich einen weißen Anzug tragen. Wenn ich mir einen kaufen könnte, dann würde ich ihn schon mal anziehen, aber viel Geld verdiene ich nicht, ich verdiene eigentlich gar kein Geld, ich bekomme es. Ich kann nicht mehr arbeiten, ich würde gern. Einkaufen geht noch, sauber machen und Treppen steigen, langsam, aber das war es dann auch schon. Bei allem anderen macht mein Herz nicht mehr mit, das hat schon überall Löcher und die Ärzte sagen, ich soll mich nicht anstrengen und aufregen, sie könnten sonst für nichts garantieren. Das ist gar nicht so leicht, sich nicht aufzuregen, früher hab ich mich viel aufgeregt, aber jetzt geht das nicht mehr. Die Ärzte sagen ich soll mich nicht anstrengen, weil die Muskeln an meinem Herzen schwach geworden sind, ausgeleiert. Deshalb mag ich Weiß auch so gern, das will nichts von mir.


In der Küche kocht das Eierwasser über. Ich stehe in der Küche, sie ist nicht groß, aber es ist meine Küche und ich stehe mittendrin an den Tisch gelehnt. Ich lasse es überkochen, weil ich gern sehe, wie es sich in Luft auflöst. Auf dem Tisch steht Salz, ich habe mir ein Butterbrot dazu geschmiert. Das Ei ist weiß, es liegt auf dem Tisch und wartet darauf, dass ich etwas damit mache. Wenn ich nichts damit mache, bleibt es für immer hier liegen, bis jemand meine Knochen findet. Der Dampf vom Herd macht die Tapete langsam weich, an ein paar Stellen blätterte schon die Farbe ab. Darunter ist gelbe Tapete, noch vom Vormieter. Als meine Frau ausgezogen ist vor zehn Jahren, habe ich alles neu gestrichen. Ich habe mich an dem Abend auf die Couch gesetzt, vielleicht habe ich geweint und dann habe ich auf das frische Weiß gestarrt, das hat mich beruhigt. Meine Frau mochte kein Weiß, die hat immer die Wände bunt gemacht. Die war ganz grau innen, meine Frau, deshalb hat sie immer die Wände bunt gemacht. Ich hab vielleicht mal ein Bild an die Wand gehängt, aber sonst hab ich alles bunt gelassen. Ich wollte, dass sie glücklich ist. Weiß mag ich sehr gern, meine Frau war an manchen Tagen so grau, da wollte ich sie gern anmalen.


Wenn ich jetzt mit dem spitzen Messer ein Loch in das Ei bohre darf es nicht kaputt gehen. Ganz vorsichtig mache ich das. Es knirscht leise und ein paar Krümel fallen auf den Tisch. Ich habe manchmal etwas kaputt gehauen, das tat mir dann aber immer gleich leid. Einmal habe ich die Kristalllampe im Wohnzimmer von der Decke geschossen, aber das war aus Versehen, da wollte ich die Kaffeekanne an die Wand werfen und sie ist mir weggerutscht. Ausziehen wollte sie, meine Frau wollte ausziehen, hat sie da am Tisch zu mir gesagt. Aber nur vielleicht, wenn das nicht besser werden würde mit meiner Aufregung. Das hat gekracht mit der Kaffeekanne, richtig gezuckt hat meine Frau. Die Lampe ist runter gefallen auf den Tisch, genau auf die Stelle zwischen uns, wo der Kuchenteller stand. Ich habe niemals Menschen kaputt gehauen. Aber manchmal wollte ich einfach, dass endlich etwas nach meiner Vorstellung funktioniert, es geht nämlich viel schief. Die Kaffeekanne hatte einen Riss, vorne am Hals, aus dem lief immer braune Suppe, so ein ganz dünner Film. Das hat mich so wütend gemacht, dass da immer die braune Suppe raus gelaufen ist. Meine Frau ist dann meistens eine Runde ums Haus gegangen, wenn ich mich aufgeregt habe. Dass ich sie unglücklich mache, hat sie mir dann gesagt, wenn sie wieder kam und ihre Jacke im Flur an den Haken gehängt hat. Ich stand dann im Türrahmen und war ganz blass im Gesicht, das habe ich gesehen, wir hatten Spiegelfliesen im Flur. Ich habe so lange da gestanden, bis ich den Schlüssel im Schloss gehört habe. Dann habe ich immer so getan, als wäre ich gerade zufällig da. Ich wollte nämlich nicht, dass sie unglücklich ist. Keine Ahnung, ob ich noch mal eine bekommen hätte, deshalb hab ich die graue Frau genommen. Sie hatte eine weiße Regenjacke, die hat sie im Sommer dann immer angezogen, wenn ich mal wieder wütend war auf die Dinge. Sie kam wieder und hängte die Jacke an die Garderobe und ich stand zufällig daneben.


Die Dinge waren das Problem, die habe ich manchmal kaputt gehauen. Die Eieruhr tickt nicht ganz richtig, ich mag das gern, man weiß nie, wie das Ei sein wird. Ich weiß nie, wie es morgen sein wird. Immer wenn ich in der Küche auf etwas warte, stehe ich am Fenster und gucke zum Fernseher rüber auf die andere Straßenseite. Der Fernseher war mal ein Bekannter von mir, ich habe vergessen, wie lange das her ist, wir hatten jedenfalls noch keine grauen Gesichter, da haben wir noch unten in der Eckkneipe zusammen Schnaps getrunken bis in die Nacht, manchmal auch mit meiner Frau. Jetzt sitzt er da und schaut in die Glotze, den ganzen Tag. Sein Sessel steht so, dass ich ihn sehen kann dabei, aber nie sein Gerät. Er hat weiße Gardinen, manchmal zieht er die zu für ein paar Minuten. Das Ei schlägt innen gegen den Topf, es darf nicht platzen, ich habe Angst davor, dass es kaputt geht, es geht schnell viel kaputt. Das Fenster des Fernsehers ist auch kaputt, im Schlafzimmer drüben, da ist ein großer Riss in der Scheibe. Ich sehe ihn immer da sitzen, sein Gesicht ist blau angeleuchtet abends, rechts daneben ist das Fenster mit dem Riss, das ist dunkel. Keine Ahnung, wie der Riss da reingekommen ist. Aber die Scheibe ist auch ganz dreckig und die Gardine immer zu, ich glaube der Fernseher lebt nur noch in dem einen Zimmer. Ich habe ein zweites Zimmer und die Küche und wenn ich Geld hätte, würde ich auch die Wände wieder weiß streichen. Aber ich habe kein Geld, ich bekomme nur Geld, nicht viel. Es soll mir aber trotzdem gut gehen, das ist doch nur gerecht, deshalb kaufe ich mir manchmal etwas Schnaps, damit ich besser einschlafen kann. Meine Frau hat das gehasst, wenn ich nicht schlafen konnte, sie hat sich dann manchmal ihre weiße Jacke genommen, wenn ich mich gewälzt habe und geheult im Bett auf meiner Seite, dann ist sie raus und kam erst morgens wieder. Keine Ahnung, wo sie hin ist. Vielleicht war sie beim Fernseher, aber der hat ja immer seine Gardine zu im Schlafzimmer.


Dem Fernseher haben sie letztens die Wohnung gekündigt, hat er mir erzählt, als wir uns auf der Straße bei den Mülltonnen getroffen haben, zufällig haben wir uns getroffen, ich stand da und er kam aus der Haustür mit einem Mülleimer in der Hand. Das war das erste Mal seit Jahren, dass er was gesagt hat zu mir. Während ich mich daran erinnere, stehe ich am Küchenfenster und sehe ihn im Sessel sitzen, den Riss sehe ich auch. Er hat gesagt, dass sie ihm gekündigt haben, weil sie das Haus renovieren und er dann die Miete nicht mehr bezahlen könnte. Er meinte, das würde mir auch noch blühen, ich solle mal abwarten. Dann ist er zur Mülltonne gegangen und hat seine Abfälle reingeschüttet, ich stand da ganz regungslos, als wäre ich zufällig da, war ich ja auch. Und als er wieder an mir vorbei kam, der leere graue Eimer baumelte in seiner Hand, da meinte er, ich solle mich schon mal vorbereiten, das würde mir auch noch blühen, ich solle mich schon mal frisch machen. Dann ist er hochgegangen und als ich zehn Minuten später Wasser gekocht habe in meiner Küche, da war sein Gesicht schon wieder blau. Die Gardinen hinter dem Riss haben sich im Wind bewegt, wie ein Kleid sah das aus, vermutlich zieht es durch den Riss. Das Kleid meiner Frau bei unserer Hochzeit war weiß gewesen, es war ganz glatt und hatte sich nach Samt angefühlt, war aber kein Samt, hat sich nur so angefühlt, so viel Geld hatten wir nicht. Da war ich sehr glücklich. Ich weiß noch, wie ich mit der Hand über die Hüfte meiner Frau gestrichen habe, da war sie noch nicht grau, und ihr gesagt habe, dass wir jetzt glücklich sein werden, und dass sie sich darauf schon mal vorbereiten soll. Da hat sie mir über den Kopf gestrichen, das war schön, hat sie manches Mal gemacht, wenn ich was kaputt gemacht habe, aber erst viel später, wenn sie keine Angst mehr vor mir hatte.


Mittlerweile haben sie beim Fernseher schon ein Gerüst aufgebaut am Haus. Ich weiß nicht, wie so etwas überhaupt hält, ich bin kein Kluger, aber es steht fest und niemand denkt auch nur daran, es wieder wegzuräumen. Manchmal steigen nachts die Jugendlichen darauf und setzen sich an den Rand und baumeln mit den Beinen, dann riecht es nach Gras, das zieht bis zu mir hoch, ich mag das, erinnert mich an meine Jugend. In meiner Jugend habe ich meine Frau kennengelernt, es gibt da ein Bild, das habe ich weggeräumt in den Keller, da sitzt sie auf einer Wiese in der Sonne, das sieht schön aus, ist aber so lange her, dass ich nicht mehr genau weiß, ob ich das Foto gemacht habe oder jemand anderes. Ich sehe den Fernseher drüben jetzt wie in einem Bilderrahmen, weil das Gerüst drum herum ist. Es dauert nicht mehr lange, er kann sich schon mal frisch machen. Ich gieße mir noch einen Schnaps ein zu meinem Ei und meiner Stulle. Das tut gut, es ist doch erst Vormittag und ich muss noch so viel Zeit aushalten, bis ich schlafen darf. Vorher gehe ich aber noch zum Briefkasten, den Schnaps trinke ich noch, aber dann hole ich meine Zeitung. Im Treppenhaus ist es immer dunkel, auch im Sommer um die Mittagszeit. Das Licht auf meiner Etage ist kaputt, das Holzgeländer knarrt. Jemand hat an die Wand „Anarchie“ geschrieben und dahinter ein Ausrufezeichen gemacht. Drum herum blättert schon der Putz ab und ich verstehe das Wort nicht. Im Briefkasten ist die Zeitung, ich nehme sie heraus und schließe wieder ab. Dabei fällt ein weißer Umschlag auf den Boden, schön sieht das aus, denke ich. Auf den dreckigen grauen Fliesen, auf denen die Jugendlichen immer ihre Kippen austreten, darauf liegt ein weißer Umschlag, der auf sein Gesicht gefallen ist. Ich drehe ihn um, als ich die Treppen hoch gehe und sehe, dass er vom Vermieter ist. Ich bleibe stehen mitten auf der Treppe beim Hochgehen, das Licht geht aus, über mir ist meine Etage, in der es sowieso dunkel ist. Ich stehe auf der Treppe und im Dämmerlicht ist der Umschlag ganz grau. Als ich höre, dass unten jemand die Haustür aufschließt, gehe ich weiter nach oben. Er überholt mich aber, ist mein Nachbar, der nimmt immer zwei Stufen auf einmal, er grüßt und ich stehe da mit dem Briefumschlag wie zufällig und bin bestimmt blass. Meine Frau hätte jetzt sicher schon Angst bekommen, aber das braucht sie ja nicht mehr, sie ist ja nicht mehr da, weggerannt ist sie, die hat es gut, ich möchte auch wegrennen vor mir, aber das geht ja nicht, ich stehe ja hier im Treppenhaus mit einem weißen Umschlag in der Hand und zittere.


Ich setze mich an den Tisch und öffne den Umschlag. Ich lese, dass es bald soweit ist und dass es ihnen Leid tut. Und dann passiert es mir wieder, es tut mir so leid, zum Glück ist meine Frau nicht hier. Ich werfe vor Wut meine Kaffeetasse gegen das Fenster, „Papas“ steht darauf, die Schrift verblasst schon langsam aber ich kann sie nicht wegschmeißen, war ein Geschenk, ziemlich kräftig werfe ich die Tasse, ich habe in der Schule immer am weitesten geworfen, im Sportunterricht. Es gibt ein klirrendes Geräusch, die Tasse macht ein Loch und fliegt runter auf die Straße, ich kann es krachen hören unten, vermutlich ist der Henkel als erstes ab, der hatte schon einen Sprung. Es ist ganz still hier in der Küche, nur das Wasser rauscht leise im Topf. Ich warte darauf, dass jemand eine Jacke von der Garderobe nimmt und die Tür ins Schloss fällt. Aber nichts passiert, wenn ich mich jetzt nicht bewege, werden sie irgendwann meine Knochen finden. Ich stehe auf und gehe ans Fenster, durch das Loch zieht der Wind herein und unter meinen Hausschuhen knackt Glas. Unten auf der Straße liegt meine Tasse, auf dem dunkelgrauen Kopfsteinpflaster liegen die weißen Scherben. Ich blicke auf die andere Seite zum Fernseher. Der steht auch am Fenster und schaut zu mir rüber, sein Gesicht sieht ganz blass aus. Er schaut mich an und nickt. Unten fährt ein Auto über die Scherben meiner Tasse, durch das Loch kann ich es knirschen. Auf dem Tisch liegt der weiße Brief und sagt mir, dass es Ihnen Leid tut. Ich weiß, dass es ihnen nicht Leid tut. Mir tut es Leid. Es regt mich auf, kurz fühlt es sich an, als wäre die Tasse durch meinen Brustkorb geflogen und hätte dort ein Loch gemacht, aber ich kann nichts dagegen tun, so bin ich eben, die Dinge klappen einfach nicht, das regt mich auf. Der Fernseher sieht von drüben durch das Loch in meinem Küchenfenster, wie ich mir an die Brust fasse. Und während ich auf den Küchenboden falle, setzt er sich wieder in seinen Sessel. Zum Glück ist meine Frau nicht da, sie hätte jetzt wieder Angst.


.felix wetzel.

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