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  • AutorenbildFelix

#2 // Eines Tages




Meine kleine Tochter. Ich schreibe dir, weil es mir leid tut. 


Weißt du, ich würde dir so gern erklären, was da passiert ist vor drei Jahren. Ich würde es dir gern erklären, so wie ich dir den Himmel erklärt habe, wie man Mama anruft, warum nicht alle Menschen immer gut sind zu dir. Ich stelle es mir immer ganz einfach vor. Ich fange an, der Mund geht auf und die Worte kommen raus, Satz für Satz, bis die Dinge Glas sind und nicht mehr Sichtbeton. Ich erzähle dir, wie es soweit kommen konnte, erzähle dir davon, wie deine Mutter und ich uns verletzt haben, wie es immer schlimmer wurde, wie wir keinen Ausweg mehr gefunden haben. Wie die Nächte länger und länger wurden und das Licht, aus dem wir gemacht waren, zum Schatten geworden ist. Ein Schatten von etwas, das man nicht mehr erkennen kann. Das an den Fersen hängt und nicht mehr abgeht, so schnell man auch davon rennt. Ich würde dir erzählen wie wir gekämpft haben, um uns, gegen uns, vergeblich. Wie das war eines morgens aufzuwachen und zu wissen, dass es vorbei ist. Dass vorbei ist, was als das größte Glück gedacht war und das zum Traum geworden ist, aus dem man aufwachen muss. Und vor allem erkläre ich dir, warum es manchmal besser ist, wenn man sich nicht mehr streitet und das Band reißen lässt, das sich um den Hals gewickelt hat. Aber am Ende merke ich immer, dass ich es nicht erklären kann, mir nicht, dir nicht. Es ist als wäre der Mond vom Himmel gefallen direkt vor deine Füße, und keiner könnte dir erklären, was er da soll.

Wie kann das sein, dass ich auch von dir fort gegangen bin? Das komische ist an dieser Sache: einer muss gehen. Und das war ich, das haben wir so entschieden. Es war das schlimmste Gehen, das meine Füße jemals mitgemacht haben. Ich weiß noch ganz genau. Die ersten Abende, in denen ich in meiner neuen Wohnung war, ohne dich hinter der nächsten Wand zu wissen, da war es, als wäre ich selbst nicht ganz da. Man sagt das immer so gern, dass ein Teil von einem abgerissen wäre, oder verschwunden, das wird dir noch oft begegnen. Die Menschen sagen das, wenn etwas, das ihnen sehr wichtig war, vielleicht das wichtigste, nicht mehr da sein kann. Ihnen genommen wurde. Oder noch schlimmer: wenn sie es sich selbst genommen haben. Seit diesen Abenden weiß ich, was die meinen, die das sagen. Du warst nicht da. Hast nicht ruhig geatmet durch den offenen Fensterspalt. Hast dich nicht im Schlaf gedreht, ich konnte nicht nach dir schauen. Doch, du hast all das gemacht, aber ich war nicht da. Egal, wie rum ich es gedreht habe, am Ende war es einfach anders geworden. Einer muss gehen. Ich bin dann jeden Morgen gekommen zu dir, in die Wohnung, die vorher mein Zuhause war. Da waren noch Bilder von mir an der Wand, der Tisch hatte noch den gleichen gelben alten Fleck von früher von meiner Zigarette, im Bad hing noch mein Handtuch über der Heizung. Und trotzdem war es nicht mehr mein Zuhause. Wir drei waren dort nicht mehr zuhause. Seitdem bist du mein Zuhause. Seitdem komme ich so oft es geht zu dir, und hoffe, dass du nicht vergisst, dass ich mal viel näher war, als morgens an der Tür mit müden Augen.

Manchmal sitze ich hier in meinem neuen Leben, alles sieht so anders aus, du bist in einem anderen Teil der Stadt, schläfst während hier die Kerzen herunter brennen und das Dunkel fernhalten. Dann frage ich mich, was ich sagen werde, wenn du einmal so weit bist, dass du was wissen willst. Ob du es verstehen wirst, was es dir von der Welt zeigt, ob es dir die Hoffnung nimmt, bevor es richtig angefangen hat. Ob du uns verzeihen kannst, mir. Ich hoffe, dass wenn es soweit ist, ich mehr weiß, als heute. Immerhin weiß ich heute, dass man nicht immer im Nachbarzimmer sein muss, um bei jemandem zu sein. Das hast du mir beigebracht, oder ich mir selbst, wir uns. Ich weiß, dass Liebe etwas ist, von dem man ein Stück abbrechen und das trotzdem wachsen kann. Ich schreibe das hier, damit du weißt, dass es mir nie egal war. Keine Sekunde. Egal niemals, ich hab höchstens manchmal nicht daran gedacht, damit mein Herz nicht kaputt geht, weißt du. Ich kann nicht mit dir reden, wie ich es mit anderen kann. Ich würde mich gern an dein Bett setzen und dich um Verzeihung bitten. Aber ich weiß, dass du das nicht verstehen würdest. Vielleicht wäre es auch feige von mir, weil ich dir dann überlassen würde, mein Verhalten zu werten. Kein Kuss, kein Aufdieschulternehmen, kein Vorlesen und kein Abendessen kann das sagen, was ich dir sagen will. Deshalb schreib ich dir diesen Brief, damit du weißt, dass ich niemals zulassen werde, dass es noch ein paar Zentimeter mehr werden zwischen uns.  

Meine kleine Tochter. Bitte nimm das hier und alles was wir zusammen tun als Beweis dafür, dass Dinge, die enden, nicht vorbei sein müssen. Sondern anders werden können, besser vielleicht, als sie anders gewesen wären. Und verzeih uns, dass deine Mutter und ich keine Lösung gefunden haben. Dafür, dass wir zusammen sein können, wann immer du es brauchst. Du bist ein Kind der Liebe. Warst du, wirst du immer sein. Eines Tages macht das alles Sinn.


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