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  • AutorenbildFelix

#17 // Nofilter



16 Medaillen hängen an einem Nagel. Sieben goldene, sechs silberne, drei sind schon braun. Die ältesten sind noch aus einem Land, das es nicht mehr gibt. Hammer, Zirkel, Ehrentanz. Daneben ein großes Festivalposter, 1999 steht da. Am Schrank hängen Aufkleber von Bands, die sich längst aufgelöst haben. Aus dem Regal fällt ein Terminplaner mit Aufgaben, die noch immer ungelöst sind. In der Küche steht ein frischer Kaffee für mich und das Bett ist frisch bezogen. In der Luft hängt eine Kohlroulade. Ich bin vor dreizehn Jahren ausgezogen.


Das mit dem nach Hause kommen ist eine verdrehte Nummer. Obwohl die Tapeten noch die gleichen sind, ist der Lack irgendwie ab. Aber es ist so warm wie damals, als würde die Heizung auf Fünf stehen, mitten im Mai. Details sind anders, ein Bild weniger, ein Esstisch mehr, dunkle Flecken auf dem Teppich. Aber das ist wie, wenn dein bester Freund plötzlich Bart trägt. Nur Fassade. An diesen Wänden hängt so viel Vergangenheit, man könnte in den Baumarkt gehen und die größte Flex ausleihen, es würden Funken sprühen aber die Sedimente halten. Und über allem liegt Sepia, die Zeit filtert die Gegenwart heraus.  


Als die Nazis damals vom Rummel rüber kamen, da sind wir gerannt. Einige von uns ins Wasser. Andere direkt auf sie zu. Wir wussten immer, dass sie kommen würden. Wir setzten uns trotzdem auf die Wiese am See. War ja unsere. Nur im Frühling und im Herbst kamen die Glatzen aus ihren Platten in unseren Teil der Stadt. Sie wussten, dass wir da waren, sie konnten nicht anders. Ein Ritual, wie bei den Gänsen, die in den Süden fliegen. Nur mit Baseballschlägern. Wir brauchten einander. Das Wasser wurde seitdem viele Male im Dezember für die Karpfen abgelassen. An die Bäume neben der großen Festwiese klebte ich einst Gedichte aus Weißwein. Die waren bestimmt schlecht, aber man hätte sie nicht abreißen und im Mülleimer verbrennen müssen. Die große Freilichtbühne wollten wir immer renovieren und Festivals dort veranstalten. Als unsere Bierflaschen leer waren und das Feuer ausging, sind wir gegangen. Die Freilichtbühne eröffnet haben die nach uns. Denken an früher ist Selbstbefriedigung fürs Herz. Für den Moment ganz nett, aber am Ende liegt man allein im Bett. Ich mache das täglich.


Zuhause, das war mal alles. Jetzt ist Zuhause ein Ort, an dem es hallt, wie im Museum. Mit Exponaten, die man anfassen kann und die noch nach Kiffe riechen. Manchmal treffen wir uns zu den Feiertagen an den alten Orten mit neuen Gesichtern, in jedem Blick der Wunsch danach, dass es wieder so einfach wie damals sein soll. Nach jeder Begegnung die Gewissheit, dass es vorbei ist, ein für alle mal. Als ob man mit den Skeletten aus dem Naturkundemuseum Gin Tonic trinkt. Während wir uns aus dem Weg gehen, klappern unsere Kiefer aufeinander. Ich gehe oft eine Runde durch den Wald zu der Wiese, auf der wir immer gesessen haben. In den Bäumen hängt noch Tocotronic, drüben auf dem Hügel. Der größte Unterschied ist vielleicht, dass wir früher immer sicher sein konnten, dass jemand da war. Ich frage mich, ob ich noch herkomme, wenn hier niemand mehr ist.


Es ist gut, dass das alles vorbei ist, mit den Zweifeln, den doppelköpfigen Glasbongs, der Enge. Es ist eher das Prinzip des „Nichts-halten-Könnens“, das sich so offenbart. Mit den Erinnerungen ist es wie mit Zuckerwatte. Die verkleben die Augen aber lassen den Bauch leer. Meine Mutter freut sich immer, wenn ich da bin. So sehr, dass sie mich mit Essen umbringen möchte. Vier Malzeiten am Tag als späte Rache für meine Pubertät. Deal. Wer 300 Kilometer fährt, kommt nicht zu spät zum Essen, außer wenn auf der A13 wieder gebaut wird. Wenn Mamas Enkelin dann in meinem alten Bett schläft und aus dem Fenster heraus Wolken zählt, dann überkommt mich das Gefühl, dass es gar nicht um mich geht. Niemals ging. Für die Heimfahrt gibt es Bananen, die kurz nach Hainichen braun sind, eine Wasserflasche und Nudelsalat für abends. Eine Mutter weint erst, wenn die Tür ins Schloss gefallen ist. Bei Dresden ist wieder Stau, die Wohnung sicher nach vier Tagen kalt wie ein Frauenfuß um Mitternacht und auf der Festwiese sitzen Kids, deren Gesichter ich nicht kenne. Es riecht nach Gras und Planlosigkeit.


Auf der Heimfahrt muss ich an die Medaillen denken. Und ob sie klappern, wenn Mama die Wohnung lüftet. Wie lautet eigentlich die Mehrzahl von „Zuhause“? Solang meine Alf-Comics im Keller liegen und Mama da ist, habe ich lieber zwei davon als keins. Eins in Sepia, eins ohne Filter in Echtzeit.


.felix wetzel.

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