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#15 // Langsam aber sicher



Ich stehe direkt neben dem kochenden Wasser, die Küche ist schmal, ich sollte mich nicht ruckartig umdrehen. Im Topf rollt das Frühstücksei hin und her. Insgesamt sieben Minuten lass ich es tanzen. Ich bleibe die ganze Zeit still daneben, den Kopf leicht geneigt zur Herdplatte. Ich kann die Sekunden ticken hören, Nadelstiche auf meiner Haut, vielleicht ist es auch das kochende Wasser, das mich trifft. Heute tut sie mir nichts, die Zeit. 

Am Tisch sitze ich ganz ruhig. Ich kaue so langsam, dass ich meine Zähne zählen kann. Im Fernsehen laufen Musikvideos, ich schaue mir sogar zuende an, was ich fürchterlich finde. Unter der Dusche beobachte ich jeden Tropfen. Ich wusste gar nicht, dass sie an meinen Fingern eine Sekunde hängen bleiben, bevor sie sich in den Abfluss stürzen. Ich drehe das Wasser etwas wärmer und höre noch ein Lied zuende. Für einen Moment erschrecke ich mich davor, fertig zu werden.

Als ich nach draußen gehe, blendet mich die Sonne. Ich bin vorbereitet, oben stand ich eine Minute im Flur und habe darüber nachgedacht, was ich noch mitnehmen will. Die Sonne steht schon hoch, so hoch sehe ich sie sonst nur in Filmen stehen. Eine Sekunde fühlt sich alles so an, als wäre es für mich gemacht. Ich setze mich auf mein schnellstes Rennrad der Stadt, und lasse mich von einem Trekkingradfahrer überholen. Ich möchte mein Ziel nicht so schnell verschwenden. Unterwegs mache ich eine Pause am Kanal. Das Wasser wird vor mir da sein. 


Als ich angekommen bin, zünde ich mir eine Zigarette an. Der Wind und meine Lippen, wir teilen sie uns. Ich überlege, wo ich als nächstes hin möchte. Und entscheide mich dagegen, in ein Loch zu fallen. Ich denke jeden Gedanken zuende, das fühlt sich an, als ob man Teile von sich auf der Straße findet und wieder an ihre Stelle legt. Als ich nach einer roten Ampel losfahre, fällt mir etwas von den Schultern auf die Straße. Ein LKW fährt darüber, ich kann meine Sorgen krachen hören.

Abends im Bett ist mein Herz ganz ruhig. Als ich meinen Kopf auf das Kissen drücke, kann ich es erleichtert ausatmen hören. Für einen Moment frage ich mich, ob Zeit wiedergeboren werden kann, wenn sie für einen gestorben ist. Wenn ja, dann liegt sie hier mit mir im Bett, auf meiner Seite. Wir haben uns lange nicht gesehen, die alte Langstreckenläuferin und ich. Wir haben uns auseinander gelebt, ich bin ihr viel zu lange nachgerannt. Nach dem Tag heute glaube ich, dass wir beide noch eine Chance haben. Wie das eben so ist, als sie mir egal wurde, hat sie sich eng an meine Brust gedrückt. 


.felix wetzel.

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